Als die Regierung vor zwei Wochen ihre Nulldefizit-Show in der Hofburg veranstaltete, da sollte das wohl auch so etwas wie der offizielle Festakt zum endgültigen "Ende der Ära Kreisky" sein. Zehn Jahre nach dem Tod des legendären Langzeitkanzlers trug man auch seine Politik zu Grabe. Aus mit Schuldenmachen, ab jetzt wird gespart. Für unsere Kinder. Die sollen es einmal besser haben. "Dem Kreisky wär das nicht passiert": Nicht nur einmal wurde SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer im Zuge seiner etwas verunglückten Reisepolitik der vergangenen Monate die Ikone der österreichischen Sozialdemokratie vorgehalten, auf dass er sie küsse, heftig bereue und fortan nicht mehr sündige wider den Geist des Sonnenkönigs. Immerhin hatte ihm der Vor-Vor-Vor-Vorgänger seinerzeit eine Widmung in die Dissertationsschrift gekritzelt. Auch solcher Adel verpflichtet. Wie es scheint - die große Zahl derer, die sich bei ihrer Einschätzung auf historische Quellen verlassen müssen, weil sie, als Kreisky starb, noch nie an einer Wahl teilgenommen hatten, schließt den Autor ein - bezieht sich das Diktum vom "endgültigen Ende der Ära Kreisky" auf beide Seiten dieser ambivalenten Gestalt: Kreiskys Budgetpolitik, die von seinem berühmten Ausspruch geprägt war, dass ihm ein paar Milliarden Schulden mehr deutlich weniger schlaflose Nächte bereiten würden als ein paar Tausend Arbeitslose mehr, hat sich langfristig nicht wirklich durchgesetzt. Inzwischen ist erwiesen, dass mehr Schulden nicht notwendigerweise weniger Arbeitslose heißt. Zugleich scheinen aber auch die Zeiten vorbei zu sein, in denen es Politiker fertig brachten, die Spannung zwischen intellektueller Schärfe und menschlicher Zuwendung, zwischen visionärer Kraft und pragmatischer Gerissenheit so zu halten, dass man am Ende von "Charisma" sprechen könnte. (Es ist ungerecht, aber es ist so: Dem Charismatiker verzeiht man sogar die Sünden, die sein braver Gegner nie begehen würde.) Gerade aus der Perspektive der übernächsten Generation erscheint die Rede vom "endgültigen Ende der Ära Kreisky" unpassend. (Es sei denn, man bezeichnet damit einfach nur das Ende der dreißigjährigen SPÖ-Kanzlerschaft in Österreich.) Das politische Geschehen unserer Tage muss ein junger Mensch, der Bruno Kreisky als Figur der Zeitgeschichte kennen gelernt hat und noch ein wenig benommen ist vom Wort gewordenen Valium der Ära Vranitzky, geradezu als Kreisky-Renaissance verstehen. Er war sozusagen der gute Populist von Österreich, der Vorläufer des schlechten von Kärnten. Aus dieser Perspektive, die biografisch nicht mit dem starken Gefühl der Zuneigung oder der Ablehnung gegenüber dem polarisierenden Kanzler belastet ist, erscheint sogar die Ansage Jörg Haiders, er halte sich für den wahren Nachfolger Kreiskys, bis zu einem gewissen Grad plausibel. Das Handwerkszeug der Populisten - von der perfekten Instrumentalisierung der Medien bis zum ambivalenten Spiel mit der direkten Demokratie - gleicht sich ja bis ins Detail. Der Unterschied: Kreisky webte mit diesem Handwerkszeug den Zauberteppich der "good feelings", auf dem das verzopfte Österreich in den Himmel der Moderne entschwebte. Haider knüpft damit das Netz der "bad feelings" von Neid, Hass und Ausgrenzung und hält darin sein Land in Geiselhaft. Hier schließt sich der Kreis beim Thema Schulden, für das die "Ära Kreisky" in der aktuellen Debatte hauptsächlich steht: Es spricht viel für die Annahme, dass Bruno Kreisky heute mit dieser Materie ungefähr so umgehen würde wie Karl-Heinz Grasser. Kreisky wusste, wie man heute sagt, was "in" ist. Und das setzte er um, wenn es leicht ging. Heute ist Nulldefizit "in". Also würde Kreisky Nulldefizit machen. Wie? Keine Details. Wenn Kreisky heute ein wenig mystifiziert werde, schrieb kürzlich sein glückloser Widersacher Josef Taus, dann gönne er ihm das. Recht hat er: Der Kanzler selbst hätte es sich ja auch gegönnt.