Der zehnte Todestag von Bruno Kreisky war Anlass für einen jener wiederkehrenden Rückblicke, die in der Frage münden: Hat es eine "Ära Kreisky" gegeben oder nicht? In diesem Zusammenhang fällt eine erstaunliche und hartnäckige Eigenheit des Kreisky-Gedenkens auf: Alle Erinnerungen kommen immer wieder auf einen Punkt zurück - die große Bildung des Verstorbenen (die sich in ihrer prosaischeren Form durch seine Maßanzüge und Maßschuhe darstellt).

Es scheint, als ob seine bürgerlichen Wurzeln seinen Sozialismus gemildert und für seine Gegner "akzeptabel" gemacht hätten. Aber auch Sozialdemokraten betonen immer wieder die Atteste seiner Bürgerlichkeit. Diese haben den Arbeitern zu einer Repräsentation verholfen, die im Kampf um ihre Anerkennung deutlich von Vorteil war. Der Respekt, den seine Gegner Kreisky entgegengebracht haben, hat auch die Sozialdemokratie respektabel gemacht. Der Widerspruch des Großbürgers als Sozialist - so wie übrigens auch jener des Juden als österreichischer Landesvater - hat eine spezifische Funktion erfüllt, die etwas aus dem Blick geraten ist: Er hat den "Sozi-Hass" in die Schranken gewiesen mit einer Nachhaltigkeit, die drei Bundeskanzler lang währte. Heute scheint sich diese Wirkung endgültig verflüchtigt zu haben, bricht sich der Hass wieder ungehemmt seine Bahn. In diesem Sinne hat es eine "Ära Kreisky" gegeben. Und sie ist gerade zu Ende gegangen.

Der Sozialisten-Hass ist der eigentliche Kitt der derzeitigen Regierung. Er bindet sie auch dort, wo sie auseinander zu streben droht. Dazu bedarf es nicht der so genannten "Sanktionen", wie fälschlicherweise immer wieder betont wird. Der Sozi-Hass ist viel tiefer und effizienter, er wird auch in der Zeit nach Aufhebung der EU-Maßnahmen wirken. Und er scheint umso heftiger, je mehr ihm sein Objekt abhanden kommt: Denn er feiert seine Urstände gerade in dem Moment, in dem alle in die Mitte drängen. Wie der Antisemitismus ohne Juden kennt auch der Sozi-Hass ohne Sozialisten keine Schranken. Die Sozialdemokratie steht zwar längst nicht mehr dort, wo sie angegriffen wird. Aber ihr verwaister Platz gibt nach wie vor eine gute Zielscheibe ab - gut genug jedenfalls, um jene emotionalen Ressourcen zu mobilisieren, die Konservative und ganz Rechte zur Festigung ihrer eigenen Identität brauchen.

Wie es einen Phantom-Schmerz gibt, so gibt es auch einen Phantom-Klassenkampf. Klassenkampf ist kein linkes Privileg. Die Konservativen haben einen sonderbaren, aber vehementen Klassenkampf von rechts eröffnet. In diesem Zeichen steht auch ihr ungeniertes Bündnis.

Jene, die meinen, wir würden uns längst jenseits von links und rechts befinden, können sich in Österreich eines Besseren belehren. Die Unterscheidung hat sehr wohl noch Gültigkeit - wenn auch eine andere als bislang. Dem Rechts-links-Schema entsprechen nicht mehr unbedingt Realpositionen, es gibt nicht mehr reine Klassenstandpunkte wieder. Aber es sind auch nicht einfach austauschbare Spielmarken. Rechts-links hat eine eigene und eine eigentümliche Bedeutung.

Emotionen

Die Realität dieser Differenz sind in erster Linie reale Emotionen. Wenn die neuere Psychoanalyse lehrt, dass Emotionen gesellschaftlicher Natur sind - egal wie privat sie dem Einzelnen erscheinen mögen - so zeigen sich hier umgekehrt, wie Gefühle zu politischen Beweggründen und Kategorien werden.

Das irrationale Moment der Politik gibt sich in Österreich derzeit gleich auf zweifache Weise zu erkennen: Zum einen zeigt sich hier der - meist verkannte - Stellenwert von Emotionen relativ unverstellt: Die Rede von der Rationalität des Politischen wird hier täglich und für alle sichtbar unterlaufen. Zum Zweiten aber sind diese Gefühle doppelt irrational: Nicht nur sind es Emotionen, es sind noch dazu keine eigenen, sondern "fremde", ererbte, traditionelle Emotionen. Denn der Sozialisten-Hass, der derzeit in Erscheinung tritt, ist nicht die Folge der großen Koalition - er steht nicht an deren Ende, sondern an deren Anfang. Er ist die Wiederkehr eines Verdrängten. Der Hass, der jetzt, wo keine Figur ihm mehr Einhalt gebietet, zum Ausbruch kommt, hat eine alte Tradition. Nach langen Jahren seiner Unterdrückung und nach einem ganzen System zu seiner Eingrenzung findet er seine unerwartete Fortsetzung.

Der Umgang mit ererbten Gefühlen und emotionalen Ressourcen aber bestimmt nicht nur die politische Position links oder rechts, er bestimmt auch den "Charakter" einer Partei - um nicht zu sagen deren Natur.