Exakt zehn Jahre nach dem kometenhaften Aufstieg zum erfolgreichsten aller Labour-Premiers droht Tony Blairs Stern zu verglühen und seine Partei in Ungewissheit und Finsternis zurückzulassen. Nicht mehr der ewig junge und strahlende Optimist trat da am 1. Mai in Edinburgh auf, sondern ein grau gewordener und einsamer Politiker, der die Schotten eindringlich davor warnte, das „Vereinigte Königreich zu zerstören“. Innerhalb von wenigen Wochen werde er das Premiersamt an Finanz_minister Gordon Brown abgeben, versprach Blair.

Damit werde ein Schotte an der Spitze der britischen Regierung stehen, es habe keinen Sinn, Blair jetzt noch einen Denkzettel verpassen zu wollen, ließ die Labour Party verlauten. Denn der heutige Donnerstag droht für die Partei ein schwarzer zu werden. Bei den Wahlen zu den Regionalparlamenten von Schottland und Wales könnten nationalistische Parteien triumphieren, und auch bei den in England abgehaltenen Gemeindewahlen könnten Labour (laut Umfragen auf dem tiefsten Stand seit 1983) die Anhänger in Scharen davonlaufen.

Mehr als nur eine Barometerwahl und wirklich gefährlich für Labour könnte die Entscheidung in Schottland werden. Falls die schottischen Nationalisten im Parlament in Edinburgh stärkste Partei werden, wollen sie bis 2010 ein Referendum über Schottlands Unabhängigkeit abhalten.

Der schlichten Begründung, dass dies der „Normalzustand“ von Nationen sei und sie nicht länger Anhängsel eines längst glanzlos gewordenen britischen Imperiums sein wollen, hält Blair entgegen, dass die nationalistischen „Reaktionäre“ Schottland wirtschaftlich in den Untergang führen könnten.

Wer einmal erlebt hat, wie SNP-Chef Alex Salmond auf den Straßen von Glasgow von aus Pakistan stammenden Geschäftsleuten freundlich empfangen wurde, wird sich mit der Kategorisierung der SNP als dumpfbackige und fremdenfeindliche Kiltträger schwer tun. Mit einem gesellschaftspolitisch links von Labour stehenden Programm und mit von Irland abgeschauten Plänen einer für Unternehmer und Investoren vorteilhaften Steuerreform passen sie schlecht zu Blairs Zerrbild.

Ein in der EU vereintes Europa, in dem die Grundregeln in Brüssel festgelegt werden, begünstigt die (relative) Selbstständigkeit von Regionen ebenso wie die vernetzte Mediengesellschaft (was der Theoretiker Marshall McLuhan schon vor Jahrzehnten prophezeit hat).

Aktuell könnte sich die Mehrheit der Schotten aber doch noch einmal von den Warnungen der Labour-Spitze beeindrucken lassen. Gordon Brown, Sohn eines schottischen Pastors, beschuldigt die SNP der „Balkanisierung“ und droht, er werde mit einer von ihr gestellten Regierung nicht zusammenarbeiten.

Brown wird die Nachfolge Blairs „zur schlechtesten Zeit“ und, weil keine Wahlen in Sicht sind, in der „schlechtesten Form“ antreten, meint der Economist. Sorgte Blair jahrelang für Coolness und Glamour, so lieferte sein Partner und Rivale als Schatzkanzler das wirtschaftliche Fundament: Hohe Wachstumsraten und geringe Defizite, Kooperation mit der Privatwirtschaft anstelle von Staatseigentum, für eine unabhängige Notenbank, aber gegen die Übernahme des Euro. Anders als der nur wegen seiner Siegerqualitäten respektierte Blair, der für eine kalte, stressreiche 24/7- oder „Rund-um-die-Uhr“-Gesellschaft steht, liebt das Parteivolk den rauen Brown, der als Sozialist gilt (und die Sozialausgaben erhöht hat).

Blair kostete, wie sich auch im Wahlkampf in Schottland zeigte, die unbedingte Gefolgschaft zu den USA im Irakkrieg alle Sympathien. Wie Brown das transatlantische Verhältnis gestalten würde, ist ungewiss. Während Brown im Labour-Tief an die Regierungsspitze drängt, hat Blair kommenden Dienstag noch Gelegenheit, sich mit einer historischen Friedensleistung zu verabschieden: Dann wird, gemäß dem in Blairs erster Amtszeit zustande gebrachten Karfreitagsabkommen, in Nordirland die neue Nationalversammlung erstmals tagen. (Erhard Stackl/DER STANDARD, Printausgabe, 3.5.2007)