Wer Geld verdienen will, sollte es besser an der Börse oder mit einer guten Ausbildung versuchen. Wer spielen will, findet bei Nintendo weitaus mehr Thrill. Und wer Leute kennen lernen will, ist im Lokal ums Eck noch immer besser aufgehoben. Wer aber lernen will, wie sich die Kommunikation von morgen gestalten könnte, ist hier genau richtig. „Second Life“ ist ein oft mühsames, aber ergiebiges Testlabor für Kommunikationsformen der Zukunft, ein perfekter Trainingsplatz für Web- 3.0. – Von Alfred Autischer und Martin Zahner, Trimedia Communications.
Es ist wie immer. Die schärfste Kritik kommt nach dem ersten großen Medienhype. Unter dem Titel „Der geplatzte Traum vom zweiten Leben“ hat die „Süddeutsche Zeitung“ am 3.4.2007 über unzufriedene Kunden, verärgerte Firmenchefs und wegen unerlaubten Gewinnspiels recherchierende FBI-Agenten in „Second Life“ berichtet. Der Artikel fasst zusammen, was in vielen Blogs zur Zeit zu lesen ist. Für den Brand Eins-Journalisten Marion Sixtus zum Beispiel hat sich „Second Life“ zum „Beruhigungsmittel für Zukunftsscheue entwickelt. „Second Life“ ist die letzte Bastion des 20-ten Jahrhunderts. Ein Asyl für Ewiggestrige und Veränderungsverweigerer.“ (sixtus.net)
Weder Hype noch Blase, aber viel Arbeit und Zeit
Harte Worte. 2003 hat die amerikanische Programmierfirma Linden Lab unter dem Namen „Second Life“ ein virtuelles Multiplayer Game online gestellt. Binnen zweier Jahre haben sich etwa 1 Millionen User registrieren lassen. Als dann 2005 große Unternehmen und Marken wie Adidas oder Mercedes begonnen haben, diese Plattform für ihr Marketing zu nützen, haben alle großen Medien darüber berichtet. Kein Medium von Rang hat sich dieses Thema in den letzten Monaten entgehen lassen.
Wir auch nicht. Als eine der großen europäischen PR-Agenturen haben wir Ende 2006 beschlossen, eine eigene Trimedia-Insel auf „Second Life“ zu bauen. Seit nun zwei Monaten sind wir damit online. Unser ehrgeiziges Ziel: wir wollen mit unserer Insel zur Diskussionsplattform und zum Treffpunkt für Kommunikationsprofis in „Second Life“ werden. Unser erstes Learning: Bis zu diesem Ziel ist es noch ein weiter Weg.
Was wir aber auch sehen: Seit unserem Start wächst die Community, vor allem wegen der intensiven Medienberichterstattung im realen Leben, täglich und rasant. Alleine seit Februar 2007 ist die Einwohnerzahl in „Second Life“ von 3 Millionen auf heute 5,5 Millionen Bewohner gestiegen. Allerdings, und hier haben die Kritiker Recht, diese Zahlen täuschen. Tatsächlich sind gleichzeitig lediglich 30.000 User weltweit online. Im Vergleich zu Flickr oder YouTube ist das ein Klacks und hat leider auch fatale Auswirkungen.
„Second Life“ auf Mittagspause?
Unser Besuch in „Second Life“ heute, Freitag den 13. April 2007 um 16.00 Uhr nachmittags machts deutlich. Bei Mercedes sind wir die einzigen Besucher. Nicht einmal ein Mercedes-Mitarbeiter ist anwesend. Dabei wäre eine allfällige Mittagspause doch längst vorbei. Gleiches auf unserer Trimedia-Insel. Wir lesen völlig ungestört und alleine die neueste Ausgabe des „Second Life“ Magazins „Avastar“ und den aktuellen PR-Professional-Newsletter. Also machen wir einen Ausflug zur „Hedonistic Isle“. Aber auch dort ist tote Hose. Kein Besucher, kein Inselbewohner, nichts. In einem letzten Versuch lassen wir uns zu Adidas teleporten. Hier das genaue Gegenteil. Wegen zu vieler Besucher werden wir gebeten später wieder zu kommen. Das kennen wir bereits. Viel mehr als 50 bis 70 Besucher gleichzeitig verträgt die Software nicht. Also trollen wir uns.
Das haben wir übrigens hart lernen müssen. Wer ein zweites Leben will, muss vorher einige echte Hürden überwinden. Hat man sich erfolgreich angemeldet und einige echte Dollars gegen die landesspezifische Währung „Linden Dollars“ eingetauscht, findet man sich notdürftigst bekleidet und mit Sandalen ausgestattet im Nirgendwo. Es dauert mehrere Sitzungen, bis man gelernt hat, sich zu bewegen, sich zu kleiden, zu kommunizieren und sich überhaupt zu Recht zu finden.
Haben die Kritiker also doch Recht? Ist „Second Life“ nur was für Verrückte und für Marketingchefs, die schon alles ausprobiert haben? Es kommt darauf an, was man will. Sucht man den Kick eines modernen „Non Linear Gameplays“, ist man auf „Second Life“ völlig falsch. Die 3D Welten und die Interaktionsmöglichkeiten von Spielen wie „Silent Hunter“, TMNT“, „Wildlife Park“ oder „City Life“ sind „Second Life“ haushoch überlegen. Will man sich mit möglichst vielen anderen Teilnehmern messen, sind alle LAN-Parties und Online-Turniere um vieles attraktiver als alles, was es dazu heute in „Second Life“ gibt. Ist man einsam und sucht realen oder virtuellen Kontakt, gibt es Tausende besserer Angebote im Worldwide Web. Und will man auf die Schnelle Geld verdienen, ist „Second Life“ wohl einer der mühsamsten Orte, die die Welt dafür zu bieten hat.
Trotzdem hat der Spiegel-Online-Journalist Christian Ströcker Recht, wenn er „Second Life“ beschreibt als „eine Teststrecke für das, was eines Tages sein wird. Als ein Labor, in dem man die Mechanismen, sozialen Gefüge und emergenten Strukturen eines solchen Biotops beobachten und nebenbei äußerst unterhaltsame Dinge erleben kann.“ Für ihn ist „Second Life“ eine begehbare, endlos modifizierbare, multimediale 3D-Welt, in der Nutzer Dinge, Funktionen und soziale Systeme erschaffen, die es sonst nirgends gibt. In der global diskutiert, Kunst erschaffen, Identität neu definiert und kompletter Blödsinn angestellt werden kann (spiegel.de/netzwelt).
Das entspricht unseren Erfahrungen. Als PR-Experten sehen wir „Second Life“ als kommunikativen Trainingsplatz für uns und unsere Mitarbeiter. Als Chance, Dinge zu beobachten und auszuprobieren, die für unsere Kunden einmal wichtig sein könnten. Und als Schulungscenter für das, was Web 3.0 einmal sein könnte. Allerdings bedingt das den Einsatz zeitlicher wie finanzieller Ressourcen. Eine Insel zu bauen, dazu eine Pressemitteilung zu verfassen und es damit zu belassen, führt zur beschriebenen Langeweile vieler Corporate sims. Wenn die Aktivitäten des Unternehmens in „Second Life“ nicht als Ergänzung zu bestehenden Online- wie Offline Kommunikationsangeboten stehen, die Blogs nicht aktualisiert, die Anfragen nicht beantwortet werden und die Mitarbeiter nicht aktiv und täglich mitarbeiten, wird die Wirtschaftswelt im Internet auch in Zukunft „wie eine Ansammlung von Häusern ohne Straßen als Verbindungswege“ wirken (Björn Eichstädt).