Wien – Die Erfindung von Geschehen als Vehikel für zu vermittelnde Inhalte ist unnötig geworden, das hat Peter Handke schon in seinem frühen Essay Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms behauptet. Und sich nicht immer, aber immer mehr in seinen Theaterstücken daran gehalten. Aus Nicht-Geschehnissen, soll heißen: Ahnungen, Irrungen, Trugbildern, Weissagungen usw., besteht auch sein jüngstes Stück Spuren der Verirrten, das am Sonntagabend am Akademietheater in der Regie Friederike Hellers seine bejubelte österreichische Erstaufführung erlebte.
In einer Fortführung von Die Stunde, da wir nichts voneinander wussten (1992) markiert Handke wieder einen globalen Kreuzungspunkt zeitloser Pilger, die – Hausnummer: zwischen "Donaudelta" und dem "Delta des Mekong" – zu Paaren werden und einen Dritten suchen, die einander Mann und Frau, Jäger und Gejagter, Mutter und Kind sind, die Möchtegernhelden oder "Zwischenrufer" sind.
Handke, der unbeirrbarste Dichter des "unzeitgemäßen Wortgebrauchs", der in einer von Realität entgifteten, poetisierten Sprache Gegenstrukturen zur vorgefundenen Welt eröffnet, hat mit Spuren der Verirrten in Wahrheit einen sehr modernen Theatertext geschrieben. Hinter dem (zu) erlesenen Vokabular, das Handke für sein haltloses, schwebendes, flirrendes Stop-and-Go der Weltgeschichte aufbringt, verbirgt sich die radikale Verwobenheit von Drama und Prosa: Eine noch dazu hoch ironische Spukform, die das Theater, die Darstellbarkeit infrage stellt. Hier sei nichts mehr "bespielbar", meutern die Pilger, und kurz darauf geht ein "Zuschauer" auf die Bühne und statuiert folgendermaßen ein Exempel: "He, ihr! Keine Tragödie vortäuschen. Alles nicht wahr. Auf, ihr Knochen. Tut was für mein Geld."
Ausgerechnet diese neuralgische Stelle wurde bei der Wien-Premiere (die Uraufführung hat Claus Peymann vor zweieinhalb Monaten am Berliner Ensemble verantwortet) verschenkt: Peter Thiessen, der Sänger der Hamburger Band Kante, die leitmotivisch die wundervolle und um "Dschungel- oder Savannenschreie" erweiterte Tonspur durch den knapp zweistündigen Abend zieht, stakst auf die zusammengescheuchte Pilgertruppe zu und spricht den Satz einfach zu leise.
Auf einer schwarzen, nach hinten verjüngten Hochglanzfläche und unter einem ebensolchen erhellten Dach (Ausstattung: Sabine Kohlstedt) halten die Schauspieler auf schwarzen Schalensitzen mit angeschraubten Mikrofonhalterungen vor der Spielfläche Wache. Hier sitzen sie ihre nondramatischen Phasen.
Wunderbar spielt Bibiana Zeller mit Rudolf Melichar ein vom Tod bedrohtes Paar. Petra Morzé und Sachiko Hara hechten synchron zum Muttermord. Jörg Ratjen hebt das Hinterteil zum gockelhaften Auftritt, Philipp Hochmair hängt sich den Pilger- oder Terroristenbart um, spritzt sich eine Ampulle Blut ins Gesicht, um den Heldentod zu sterben, den es gar nicht mehr gibt. Und: "Die Tage tagen nicht mehr (...) und das Grün grünt nicht mehr." Und: "Tragödien, solche gibt es nach dem neuesten Stand der Forschung nicht mehr."