Wissenschaftshistorikerin mit originellen Einsichten: Christina Wessely.

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"Suchen Sie einmal auf dem Wiener U-Bahn-Plan nach Symbolen. Zwei der vier Icons sind Tiere: Ein Hai repräsentiert das Haus des Meeres, ein Elefant den Tiergarten Schönbrunn. Sie zeigen an, wo in der Stadt Natur vorkommen darf", sagt Christina Wessely. Die Wiener Wissenschaftshistorikerin ist ein Augenmensch. Beim Durchblättern von Modezeitschriften des späten 19. Jahrhunderts fiel ihr auf, wie ähnlich Damenhüte in den Auslagen und die Tiere in den Käfigen präsentiert wurden. Kaufhaus und Tiergarten sind Produkte derselben Zeit, Orte des visuellen Konsums. Wessely will hinter das Offensichtliche sehen, Phänomene nicht einfach als gegeben hinnehmen, sondern herausarbeiten, welche Bedeutungen in diese einflossen und hineinverhandelt wurden. Das möchte sie aber nicht als "Aufdeckerei" verstanden wissen, sie versteht ihre Arbeit vielmehr als "Selbstaufklärung".

So zeigte sie in ihrer Dissertation "'Künstliche Tiere etc.' Zoologische Gärten und urbane Moderne in Wien und Berlin", dass um 1900 der Zoo als wohlgeordnete Stadt inszeniert, die pulsierende Metropole hingegen als wild und exotisch, eben als Großstadtdschungel wahrgenommen wurde.

So hatte Wessely, die nicht verwandt ist mit Paula Wessely, vor drei Jahren, damals 27, bereits promoviert. Die akademische Karriere einschlagen? Noch dazu mit einer brotlosen Kunst wie der Wissenschaftsgeschichte? Ganz wohl war ihr dabei lange Zeit nicht, weswegen sie parallel zu ihrer Dissertation auch ein Aufbaustudium Kulturmanagement absolvierte. Da hatte sie aber bereits ihr neues Thema entdeckt, die Welteislehre von Hanns Hörbiger. Eher zufällig stieß sie im Technischen Museum Wien auf die wohl geordnete Korrespondenz Hörbigers, die sich als wahrer Schatz entpuppte (siehe Ein ungeheuer tiefer Eisozean). Seither haben es ihr die Pseudowissenschaften angetan, Ende letzten Jahres war sie Co-Organisatorin einer Tagung in Wien. Jetzt gibt sie darüber gemeinsam mit Kollegen einen Band in der berühmten Reihe stw des Suhrkamp Verlags heraus.

Ihr Sicherheitsbedürfnis hat mittlerweile etwas nachgelassen, nicht zuletzt deshalb, weil sie sich vor Stipendien kaum retten konnte. Sie ist derzeit sowohl Mitarbeiterin eines FWF-Projektes an der Universität Wien als auch Postdoc am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Auf Einladung des Wissenschaftshistorikers Peter Galison verbringt sie das erste Halbjahr 2007 an der Harvard University. Christina Wessely ist, wie gesagt, ein Augenmensch und damit auch ein Augenöffner. Als im Frühjahr 2006 das MPIWG von Berlin-Mitte nach Dahlem in ein eigens errichtetes Gebäude umzog, fragte sie sich: Wie werden die Vorgaben der Direktoren des Instituts architektonisch umgesetzt? Wer blickt auf wen? Dient die zentrale Lounge zur Entspannung oder zur Kontrolle, wer gerade nicht arbeitet? Und was reichert sich an Nippes und vertrockneten Pflanzen auf den Schreibtischen an?

Bei ihrem Vortrag zur Eröffnung des neuen Instituts fokussierte sie nicht auf die Inhalte der Forschung, sondern auf die räumlich-atmosphärischen Bedingungen, unter denen diese stattfindet. Durch ihre digitalkameragestützte Dokumentation des Arbeitsalltags ihren Kollegen brachte Wessely deren Selbstbild als nüchterne Forscher heftig ins Wanken. Diese lachten Tränen und forderten beim Schlussapplaus frenetisch "Zugabe". Aufgrund des großen Erfolges musste der Vortrag wiederholt werden. (Oliver Hochadel/D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 9.5. 2007)