Wien/Brüssel - Auch wenn das Zufallsprinzip entschieden hat - so zufällig fiel die Wahl dann doch nicht auf Johann Madlmayr. Der Funktechniker aus St. Florian bei Linz bezeichnet sich "als politischer, aber nicht parteipolitischer Mensch". Und so überlegte er nicht lange, aktiv an der europäischen Bürgerkonferenz in Wien teilzunehmen. Denn: "Nur wenn Menschen mittun, können sie etwas bewegen."

Mitgetan haben tatsächlich viele. Um genau zu sein: 30 Österreicher verfassten im Wiener RadioKulturhaus in eineinhalb Tagen ihre nationale Bürgererklärung. Das Gleiche geschah in den 26 anderen EU-Mitgliedsstaaten. Aus den insgesamt 27 Erklärungen wurde am Dienstag in Brüssel auf einer Abschlusskonferenz eine gemeinsame europäische Bürgererklärung formuliert.

"Damit sollen europäische und nationale politische Institutionen inspiriert werden, anstehende Entscheidungen zur Zukunft Europas im Sinne der Bürger und Bürgerinnen aktiv mitzugestalten." Dieses Ziel hat sich zumindest die belgische König-Baudouin-Stiftung gesetzt. Sie hat die Leitung des Projektes übernommen, das von mehreren unabhängigen Organisationen umgesetzt wird. In Österreich war es das Zentrum für Soziale Innovation, das zur Bürgerkonferenz nach Wien geladen hatte.

"In welchem Europa möchte ich 2020 leben?", dieser Frage sollten Madlmaier und die anderen Teilnehmer nachgehen. Antworten wurde für drei Themenkomplexe gesucht: Energie und Umwelt, Soziale Sicherung und Familie, globale Rolle und Immigration. Er entschied sich für die erste Arbeitsgruppe.

Die Forderungen an die EU-Umweltpolitik aus Sicht der Bürger fasst er so zusammen: "Gentechnikfrei, keinen Atomstrom mehr, Förderung der normalen Landwirtschaft und damit der regionalen Produkte. Das führt auch zum Eindämmen des Gütertourismus vor allem auf der Straße und bringt eine Reduktion der Schadstoffe mit sich."

Ob diese Wünsche des Volkes in Brüssel gehört werden? Auch wenn die EU bisher Bürgernähe vermissen ließ, der Oberösterreicher "glaubt an Europa". Die nationalen Bürgerkonferenzen und die daraus resultierenden Erklärungen seien der Anfang eines neuartigen europaweiten Dialog- und Beteiligungsprozesses, versichern auch die Initiatoren. Denn das Konzept jener Konferenzen gehe über bisherige Kommunikationsinitiativen hinaus. "Hier stehen Bürger und Bürgerinnen Europas im Mittelpunkt, die nach Zufallskriterien ausgesucht und die Vielfalt der EU-Bevölkerung repräsentieren. Ohne spezifisches Fachwissen tauschen sie über Grenzen und Kulturen hinweg ihrer Erwartungen und Bedenken aus."

Der Funktechniker aus St. Florian ist jedenfalls davon überzeugt, dass die nun in Brüssel ausgearbeitete europäische Präambel nicht ohne Folgen bleiben wird. Im Juni soll sie politischen Entscheidungsträgern überreicht werden. Margot Wallström, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, versicherte bereits: "Ich verspreche, dass die Europäische Kommission zuhören und lernen wird." Und Franz Fischler, bis 2004 EU-Kommissar für Landwirtschaft, meinte: "Ohne eine Stimme, Meinungen und Positionen der Menschen, die hier leben, kann eine lebendige europäische Gemeinschaft nicht gelingen." (Kerstin Scheller/DER STANDARD, Printausgabe, 9.5.2007)