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Foto: Sorin Solomon Sorin Solomons Homepage

Teil 1:
Engel, Evolution und Einfachheit


Teil 2:
Das Leben ist zweidimensionaler organisiert als gedacht

In den Teilen 1 und 2 unserer Mini-Serie haben wir die Grundzüge von Sorin Solomons mathematischer "Universaltheorie" dargelegt. Er hat ein Modell entworfen, in dem "Engel" (grob zusammengefasst günstige Faktoren jeder Art) und "Sterbliche" (ihre Nutznießer, die nur in der Nähe der Engel existieren können) wie Spielfiguren auf einem Feld existieren. Sein wichtigstes Resultat: Hochkomplexes kann aus dem Allersimpelsten entspringen.

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Welche Chemikalien mussten in einer potentiellen Ursuppe also ko-existieren, um Leben schaffen zu können? Da gibt es Erklärungsmodelle wie das von Stuart Kauffman vom Santa Fe-Institut in New Mexico. Er hat Simulationen entworfen, in denen eine Vielzahl von Chemikalien die Möglichkeit haben, miteinander zu reagieren und als Ergebnis - zumindest nach Meinung von Kauffman - komplexe Chemie und in weiterer Folge vielleicht Leben entstehen zu lassen. Kauffman ereicht dies freilich durch die Verwendung einer Vielzahl von Substanzen und Interaktionen, während Solomon mit den allergrundlegendsten Komponenten auskommt. "Wir haben sehr simple Reaktionen - A katalysiert B - und erhalten eine Menge Komplexität", sagt Solomon. Anpassungsfähigkeit entsteht nach seinem Modell ganz von selbst. Solomons Engel und Sterbliche haben so simple Eigenschaften, dass es sich um einzelne Moleküle handeln könnte. Das Spielfeld, auf dem sie sich bewegen, wäre so etwas wie die präbiotischen Ozeane der Erde, wo es lediglich einige wenige einfache Verbindungen gab. Während diese ursprünglichen Chemikalien durch die Gewässer der Ursuppe trieben, mag ein "sterbliches" Molekül seinem langlebigen "engelhaften" Katalysator begegnet sein und dabei eine chemische Reaktion ausgelöst haben, die sich anschließend selbst aufrecht erhielt. Sie mag zunächst unwahrscheinlich gewesen sein - aber nachdem die Reaktion einmal stattgefunden hatte, da blieb sie von Bestand; das Leben war nicht mehr tot zu kriegen. Kleine Veränderungen in den Umweltbedingungen hätten in weiterer Folge leicht veränderte Molekularstrukturen hervorgerufen: Vage Reaktionen - der Biochemiker und Nobelpreisträger Christian de Duve nennt sie "Protometabolismus" - welche zuletzt RNA (Ribonukleinsäure), einen der Grundbausteine des Lebens, ergeben hätten.

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Fasst man das Spielfeld nicht unbedingt als räumlichen Terminus auf, kann man Solomons Schema auch auf andere Szenarios übertragen. Als "Spielfeld" könnte man zum Beispiel die genetische Bandbreite definieren. Biologen bezeichnen einen solchen abstrakten Raum als "fitness landscape" (was schwer zu übersetzen ist und ungefähr mit "Tauglichkeits-Landschaft" wiedergegeben werden müsste). In diesem Szenario wären die Engel diejenigen "perfekten Genome", die auf bestimmte ökologische Nischen optimal zugeschnitten sind. Die Sterblichen durchwandern nun die ihnen offen stehende Landschaft - weitab vom perfekten Genom sterben sie aus, dafür entwickelt sich rund um einen Engel, rund um das Ideal-Genom, eine Insel aus ähnlichen Spezies. (Konkretes Beispiel: Fälle von Parallel-Evolution wie Vögel und Fledermäuse.) "Der Raum der Spezies ist sehr spärlich bevölkert", sagt Solomon. "Es gibt nichts im 'Raum' zwischen Giraffen und Elefanten, oder zwischen Eidechsen und Schnecken. Die begrenzte Zahl an Umwelten, die auf der Erde vorhanden sind, reduziert die Zahl der überlebensfähigen Genome."

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Nächstes Szenario: die Immunologie. Hier ist das Entstehen von Bevölkerungsinseln rund um Engel kein gewünschter Effekt. Solomon hat mit israelischen Immunologen zusammengearbeitet, um zu ergründen, wie es dem HIV-Virus möglich ist, unter im Grunde genommen unmöglichen Umständen zu überleben. Hier ist die Simulation umgekehrt: Antikörper haften sich an Virus-Partikel, was den Immun-Zellen erlaubt, mit ihnen aufzuräumen. Ein Antikörper muss genau die richtige Sequenz haben, um eine bestimmte Art von Virus packen zu können - daher erzeugt das Immunsystem so lange nach dem Zufallsprinzip Antikörper, bis einer passt. Danach wird dann eine Flut von gleichartigen Antikörpern produziert, die diese Virus-Art austilgen. Doch HIV mutiert schnell. Auf Solomons Modell übertragen, muss man sich dies als unterschiedliche Linien einer Virus-Familie vorstellen, die in ihrer Mutation den abstrakten genetischen Raum durchwandern. Jede Linie wird auf ihrem Weg letztendlich einem tödlichen Antikörper begegnen - und damit ist das Spiel für diese Linie aus. Doch die inzwischen hinlänglich bekannte Simulation hat ja gezeigt, dass bei ausreichender Mutationsrate Inseln des Lebens (in diesem Falle leider: des Virus-Lebens) gedeihen. Solomons traurige Bilanz: Das Immunsystem gewinnt zwar jede Konfrontation mit jeder einzelnen HIV-Art - doch da die Mutationen an Zahl laufend zunehmen, bricht das Immunsystem zu schlechter Letzt unter ihrem kollektiven Druck zusammen ... (Der abschließende Teil unserer Serie wird sich vom organischen Leben weg bewegen und unter anderem mit der Anwendung von Solomons Theorie auf die Robotik befassen.) (red)