Die "Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo" - eine Erfindung der österreichischen Frächter - leistete ganze Arbeit bei der Enteignung der Vertriebenen und Ermordeten:
Museen, hochrangige Nazis und andere Begünstigte durften die Gegenstände zu Sonderpreisen erwerben. Von Thomas Trenkler.
Es gibt wohl kaum ein Bundes- oder Landesmuseum, das in der NS-Zeit nicht das eine oder Kunstwerk erhielt, dessen Vorbesitzer als unbekannt gilt: Man erwarb es über das Dorotheum oder die so genannte Vugesta. Das Kunsthistorische Museum zum Beispiel erwarb 1941 über die Vugesta das mehrere Millionen Schilling teure Gemälde Bauernbesuch von Adrian van Ostade um den Pappenstiel von 16.000 Reichsmark. In der Albertina finden sich mehrere Blätter, im Historischen Museum der Stadt Wien gar 400 Objekte mit dem Hinweis auf die Vugesta. Und auch am Joanneum in Graz stieß man im Zuge der Provenienzforschung auf das sonderbare Kürzel: Im Kapitel "eindeutig bedenkliche Werke" des im Dezember 1999 fertig gestellten Berichts über die "Erwerbungen und Rückstellungen aus jüdischem Besitz 1938 bis 1955" werden drei Ölgemälde angeführt, die laut Eintrag im Inventarbuch ein "Einkauf durch Vugesta Wien" im Jahr 1942 seien. Es handelt sich dabei um die "Verwertungsstelle für jüdisches Umzugsgut der Gestapo". Sie hieß anfangs Vugestap (was als unschön empfunden wurde), war aber keine direkte Organisation der Geheimen Staatspolizei: Ihre Errichtung im Herbst 1940 ging auf eine Initiative der österreichischen Speditionswirtschaft zurück und wurde privatwirtschaftlich geführt. In der ersten Phase griff sie, legitimiert durch die Gestapo, auf das Eigentum all jener zurück, denen die Flucht ins Ausland bereits gelungen war: Das von den Behörden (wie zum Beispiel dem Denkmalamt) zur Ausfuhr frei gegebene Umzugsgut lagerte bei einer Spedition in Wien oder in einer Hafenstadt und konnte wegen des Krieges nicht weitertransportiert werden. Umsatzmaximierung Zum Direktor der Vugesta wurde Karl Herber, Vorsitzender der "Reichsgruppe Spedition und Lagerei/Ostmark", bestellt. Er hatte stetig anwachsende Lagerkosten befürchtet, die von den Vertriebenen wohl kaum beglichen worden wären, und daher die Pauschalverwertung des lagernden Gutes angeregt. Die Vugesta erhielt für die Erfassung, Veräußerung und Verrechnung der beschlagnahmten Waren zunächst zwei, später drei Prozent des Erlöses - und war daher bestrebt, den Umsatz zu maximieren. Das Betätigungsfeld wuchs rapide an. Denn ab November 1941 fiel das Vermögen aller Juden, die ihren "gewöhnlichen Aufenthalt" im Ausland nahmen, an den Staat, um zur Förderung der "mit der Lösung der Judenfrage in Zusammenhang stehenden Zwecke" zu dienen. Bis auf Theresienstadt befanden sich alle Vernichtungslager im (besetzten) "Ausland". Die Deportierten hatten somit ihre eigene Ermordung zu finanzieren. Und die Vugesta durfte auch die verlassenen Wohnungen ausschlachten. Laut einer Recherche des Historikers Robert Holzbauer, veröffentlicht in der eben veröffentlichten Zeitschrift Spurensuche (Heft 1-2/2000), "verwertete" sie bis zum Kriegsende "das Umzugsgut von 5000 bis 6000 und die Wohnungseinrichtungen von mindestens 10.000 Familien". Ursprünglich sollte sämtliches Übersiedelungsgut im Dorotheum versteigert werden, doch dessen Kapazität reichte nicht aus: In zwei Hallen auf dem Messegelände und in den Sophiensälen wurde ein Freiverkauf eingerichtet, der sich, weil die zu Schleuderpreisen angebotenen Waren nicht mehr oder nur mit Bezugsscheinen erhältlich waren, großer Beliebtheit erfreute. Bezugsberechtigt waren eigentlich nur sozial Schwache und Kriegsgeschädigte, aber es herrschte eine ausgedehnte Günstlings- und Privilegienwirtschaft. Bestandserweiterung Und auch die Museen hatten ihren Nutzen: Kunstwerke, die sie ihren Sammlungen "einverleiben" wollten, gelangten nicht zur Auktion, sondern wurden zum Schätzpreis überlassen. Über diesen Weg kamen 1942 auch die drei anfangs erwähnten Ölgemälde ins Joanneum. Die Autoren des Provenienzberichtes (Thomas Arlt, Gudrun Danzer, Barbara Klinkosch) ziehen den Schluss, dass es sich dabei um Werke aus der Sammlung von Gottlieb Kraus, einem tschechischen Konsul in Wien, handeln könnte - im Fall von August von Pettenkofens Frau mit Blumen "mit ziemlicher Sicherheit". Seit einigen Tagen aber herrscht Gewissheit: Im Keller des Staatsarchivs wurden, wie berichtet, 896 Buchungsblätter (insgesamt neun Bände) gefunden, die Aufschluss darüber geben, wessen enteignetes Gut an wen veräußert wurde. Übereinstimmungen Aus dem Eintrag über Gottlieb Kraus wird ersichtlich, dass vom Joanneum neben dem Pettenkofen auch Emil Jakob Schindlers Holländische Landschaft "erworben" wurde. Zudem sicherte sich die Albertina, wie man aufgrund der Übereinstimmung der Nummern und Datumsangaben herausfand, ein Blatt Rudolf von Alts. Und auch einige Privatpersonen, die sich am Freiverkauf bedienten, werden genannt, darunter Anton Jennewein, der damalige Direktor des Dorotheums. Bei Durchsicht der Blätter stößt man immer wieder auf vertraute Namen als Einkäufer - wie Heinrich Hoffmann (Hitlers Leibfotograf), Baldur von Schirach (Gauleiter und Reichsstatthalter von Wien) oder Bruno Grimschitz (Direktor der Österreichischen Galerie). Äußerst aufschlussreich sind die Angaben bezüglich des Industriellen Ernst Pollack, der eine äußerst wertvolle Kunstsammlung sein eigen nannte - inklusive eines Brueghel-Gemäldes, das Schirach in seinen Besitz brachte und das seit 1945 als verschollen gilt: Als Kunden werden - siehe das abgebildete Faksimile - das Joanneum Graz, das Tiroler Landesmuseum und das Kunst(historische) Museum angeführt. Auch ein "Dir. Herber" taucht in der Liste auf. Der Vugesta-Chef bediente sich, wie auch so mancher Spediteur oder Mitarbeiter, aber gleich des öfteren. Laut Holzbauer erwarb er bei den Freiverkäufen Waren und Gegenstände um insgesamt 35.000 Reichsmark, darunter auch 13 Flaschen Kognak und 56 Flaschen Portwein. Begünstigtenkreis Als diese Einkäufe nach dem Krieg im Volksgerichtsverfahren zur Sprache kamen, gab Herber an, als "Jungverheirateter" zum Kreis der Begünstigten gehört zu haben. Der Prozess wurde übrigens niedergeschlagen, Herber ging frei. Die Grundlage bildeten zwei Gutachten. Das eine stammte von einem Frächter, der die Spedition Fall arisiert und an den Vugesta-Enteignungen partizipiert hatte. Beweismaterial im Verfahren waren neben den Buchungsblättern auch noch viele andere Dokumente, darunter Vormerknotizen, Schätzungsprotokolle und Abrechnungsbögen. Kann sein, dass auch diese noch im Staatsarchiv liegen - und wieder zum Vorschein gelangen. Wie auch die Unterlagen des Dorotheums. Das Auktionshaus täte gut daran, sich auf die Suche zu machen: Die Historikerkommission erklärte sich mit dem Bericht, den das Dorotheum ablieferte, nicht zufrieden. Und US-Anwalt Ed Fagan brachte, wie berichtet, eine Sammelklage gegen die Republik und österreichische Unternehmen u. a. wegen der systematischen Enteignung und "Arisierung" jüdischen Vermögens ein. Erstklägerin ist direkte Nichte von Ernst Pollack. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 5./6.8. 2000)