Kunst und Kultur
"Selbst in den besten Familien"
Inspiriert von der umstrittenen "Jerry Springer Show" in den USA geht es in "Hasta en las mejores familias" so richtig zur Sache
Mexiko-Stadt - Wenn Mexikos Talk-Masterin Carmen Salinas ihre
Gäste begrüßt, haben sich bereits einige breitschultrige junge Männer hinter
deren Sitzen aufgebaut. Sie sollen einschreiten, wenn die Eingeladenen
aufeinander losgehen. Und dies ist in «Hasta en las mejores familias» (Selbst
in den besten Familien) oft der Fall.Zoff vorogrammiert
Die vom Medienriesen Televisa, dem größten spanischsprachigen
Fernsehkonzern der Welt, ausgestrahlte Sendung ist eine von mehreren
neuen Talk-Shows im Lande der Azteken, die Millionen von MexikanerInnen
sehen, die aber auch zu heftigen Protesten geführt haben. Inspiriert von der
umstrittenen Pöbel-Sendung «Jerry Springer Show» in den USA geht es in
«Hasta en las mejores familias» so richtig zur Sache. Da zu Streitfragen
grundsätzlich beide Seiten eingeladen werden, ist Zoff vorprogrammiert.
Eskalation
Beliebte Themen sind Familien- und Beziehungskonflikte, die mit Titeln wie
«Ich hasse meine Schwiegermutter» oder «Ich habe mich in meinen
Schwager verliebt» präsentiert werden. Im ersten Fall verpasste die
Schwiegermutter dem quengelnden Schwiegersohn einen Fausthieb in die
Magengrube. Die bereitstehenden Bodyguards mussten einschreiten, um
eine Eskalation der Gewalt vor laufenden Kameras zu verhindern.
Im ansonsten eher prüden mexikanischen Fernsehen, in dem in untertitelten
ausländischen Spielfilmen Kraftausdrücke stets abgemildert werden, erfreut
sich in den Talk-Shows auch das Thema Sex großer Beliebtheit. So erfähren die TV-ZuschauerInnen, dass es unterhalb der Gürtellinie «auf die Größe sehr wohl
ankommt.» Auch nicht ganz alltägliche Beziehungskisten wie «Sie hat mir
meine Braut ausgespannt» finden reißenden Absatz.
«Mein
Nachbar hat aus meinem Hund Tacos gemacht»
Televisa und die Konkurrenz von TV Azteca versuchen jeden Tag, sich in
Sachen Voyeurismus die Schau zu stehlen. Selbst der Behauptung «Mein
Nachbar hat aus meinem Hund Tacos gemacht» wurde in einer der
Sendungen nachgegangen. Televisa lud dazu die beiden Hundehalterinnen ein
sowie die zwei verdächtigten Straßenwirte, die glaubhaft versicherten, ihre
Maisfladen ausschließlich mit Rindfleisch zu füllen.
Spitzen-Einschaltquoten und Proteste
Während Televisas «Hasta en las mejores familias» oder «Cosas de La vida»
(Dinge des Lebens) von TV Azteca Spitzen-Einschaltquoten erzielen, hagelt
es auch fast täglich Proteste angesichts der Serie von
Geschmacklosigkeiten. So forderte die «Vereinigung der Familienväter» am
jüngst erneut das Verbot der Sendungen, da sie die Intimsphäre und die
Menschenwürde verletzten. Auch UNICEF warnte vor negativen Folgen für die
Heranwachsenden. Das mexikanische Innenministerium erklärte jedoch, es
habe keine Machtmittel, die Talk-Shows zu verbieten. Appelle, sie
wenigstens ins Nachtprogramm zu verbannen, fruchteten nicht.
Schlecht und gern gesehen
Was das Feedback der Schmuddelsendungen betrifft, veröffentlichte Mexikos
angesehenste Zeitung «Reforma» am Dienstag eine vielsagende Umfrage:
Darin bezeichneten zwar 54 Prozent der ZuschauerInnen die Shows als «schlecht
bis sehr schlecht», doch ebenfalls 54 Prozent der Befragten gaben an, sie
regelmäßig zu sehen. (dpa/red)