STANDARD: Andere arabische Länder melden "volles Boot". Wie geht Syrien mit dem irakischen Flüchtlingsproblem um?

Mekdad: Heute leiden nicht mehr nur die Iraker, sondern auch die Syrer. Der Flüchtlingsstrom hat ja bald nach der Invasion eingesetzt, und wir haben uns nie beschwert. Aber mittlerweile sind die Probleme sehr groß: Gesundheit, Schulen, Sicherheit, Lebensmittel und Wohnen. Vor vier Monaten mussten wir uns entschließen, den Zustrom zu regulieren, um noch Umstände für ein würdevolles Leben aufrechterhalten zu können, für die Iraker und für die Syrer. Was tut man, wenn in einer Schulklasse plötzlich 60, 70 Schüler sitzen - und viele Iraker schicken ihre Kinder ja nicht einmal in die Schule. Die gestiegenen Wohnungspreise, die Grundnahrungsmittelpreise sind für Syrer nicht mehr leistbar. Die eigenproduzierten Lebensmittel reichen nicht für alle, unlängst wurden plötzlich Eier knapp.

STANDARD: Man hört von der Ausbreitung chronischer Krank-heiten unter den Irakern.

Mekdad: Es verbreiten sich nicht nur physische, sondern auch soziale Krankheiten. Da gibt es etwas, wovon wir in der syrischen Öffentlichkeit normalerweise nicht sprechen. die Kinderprostitution. Wir sehen irakische Eltern, die ihre zwölf-, dreizehnjährigen Mädchen auf die Straße schicken. Das verletzt die Würde der Iraker und der Syrer gleichermaßen. Die Mutter des Bösen ist die Armut. Es werden auch Mädchen für Geld gekidnappt.

STANDARD: Gibt es unter den Flüchtlingen konfessionelle Konflikte wie im Irak?

Mekdad: Manchmal. Wir nehmen alle auf, wir fragen sie nicht nach ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund. Wir hoffen, sie bringen ihre Differenzen, die die Kolonialisten im Irak ermutigt haben, nicht nach Syrien herein. Die Ersten, die aus dem Irak geflüchtet sind, waren übrigens die Christen.

STANDARD: Wie sieht es mit der Hilfe von außen aus?

Mekdad: Das UNO-Hochkommissariat hat sich des Problems jetzt angenommen und es auch öffentlich gemacht, dafür sind wir sehr dankbar. Wir sprechen die Flüchtlingsfrage auch mit den Irakern selbst an, etwa während des Besuchs von Präsident Jalal Talabani. Die Flüchtlinge fliehen wegen der politischen Situation im Irak, also liegt die Verantwortung bei der irakischen Regierung. Sie sollte sich mehr um nationale Versöhnung bemühen. Wir haben sie auch ermutigt, eine spezielle Sektion an ihrer Botschaft einzurichten. Außerdem haben wir vorgeschlagen, dass Irak hier Schulen und Kliniken für seine Bürger errichtet, wir helfen gerne mit der Logistik. Und die irakischen Staatskasse sind ja voll.

Das ist eine humanitäre Krise - der größte Flüchtlingsstrom in der Region seit den Palästinensern -, und wir wollen sie nicht politisieren. Aber es ist ebenfalls eine Tatsache, dass die US-Invasion im Irak und die Politik der Invasoren für das irakische Leid verantwortlich sind. Auch die USA hat dafür die Verantwortung zu übernehmen. Bisher haben sie nichts getan. Sie haben 400 Flüchtlinge genommen, wir eineinhalb Millionen. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2007)