Stets gut verbunden: Philip Zimbardo verknüpft Umwelt und Innenwelt.

Foto: DER STANDARD/Freund
Wien - Anfang der Siebzigerjahre geriet eine sozialpsychologische Untersuchung an der Westküste völlig außer Kontrolle. Sie musste nach sechs statt nach 14 Tagen beendet werden, machte den Professor und sein Institut schlagartig berühmt und wurde zum geflügelten Wort. Mit dem "Stanford Prison Experiment" wies Philip Zimbardo nach, wie unter gewissen Umständen normale Bürger zu Sadisten und für kurze Zeit freiwillig Inhaftierte zu Aufständischen oder willenlosen Opfern werden.

Es sind diese Umstände, die Zimbardo, 1933 als Sohn Sohn sizilianischer Einwanderer in der New Yorker Bronx geboren, immer schon interessiert hatten. Folgerichtig beschäftigt er sich bis heute, zunächst in New York, dann an der Stanford University, mit den äußeren und verinnerlichten Einflüssen auf unser Verhalten, Denken, Gedächtnis und anderes, denen angeblich nur Neuronen zugrunde liegen.

Zurzeit ist der weltweit bekannte Sozialpsychologe auf einem Kurzseminar in Wien und zieht ein Resümee über seine Forschung. Sie reicht von frühesten Arbeiten über sozialen Einfluss bis zu Abu Ghraib.

Das Verhalten, das zu dem Skandal im irakischen Gefängnis geführt hat, wird von Zimbardo in seinem neuesten Buch The Lucifer Effect analysiert. Wie er als Ortner-Chopin-Gastprofessor an der Webster University und auf deren Einladung im Amerika-Haus ausführte, ging es in Abu Ghraib nicht um "ein paar faule Äpfel", sondern um eine "ganze faule Apfelkiste", die den Druck erzeugte, der die Unmenschlichkeit erst ermöglichte.

Sein Thema war eigentlich "Zeitperspektiven", und das mag so spannend klingen wie "Gedächtnis". Von dem sagt Zimbardo, dass es zu den langweiligsten Themen der Psychologie überhaupt gehörte - "sich sinnlose Silben merken!" -, bis man genauer untersuchte, wie sehr der Kontext, die Umgebung, die sozialen Einflüsse die Merkfähigkeit der Menschen beeinflussten. Ähnlich sei es mit der Wahrnehmung und Bewertung von Vergangenem, Gegenwärtigem oder Zukünftigem. Woran man sich gern oder ungern erinnert, ob man sich auf etwas freut und worauf, ob man die Gegenwart genießt: All das sei sozial mitverursacht und habe zugleich entscheidende Auswirkungen auf der Persönlichkeit.

Analyse und Anekdote

Durch seine Arbeiten wurde die Grenze zwischen allgemeiner und Sozialpsychologie durchlässiger. Einführungen schrieb er zu beiden Gebieten, "der Zimbardo" ist mittlerweile ein Klassiker auch auf Deutsch. Der emeritierte Sozialwissenschafter ist unermüdlich tätig, eine Kostprobe seiner didaktischen Fähigkeiten lieferte er in Wien. Scheinbar spontan assoziierend, verknüpfte er Details seiner Forschung mit aktuellen Nachrichten.

"Versteckte Kamera"-Episoden konterkarierten Analysen von Gruppendruck, ein Stück aus "Yellow Submarine", dem Beatles-Trickfilm, illustrierte die Wahrnehmung von Zeit. Anekdoten seiner Reise nach Camerata in Sizilien, wo heute noch 100 Zimbardos wohnen, führten zu den Themen Hedonismus und Benachteiligung und zu praktischen Fragen internationalen Austauschs.

Denn bei allen Show-Anmutungen waren Phil Zimbardos Ausführungen nicht Selbstzweck, sondern dienten einer nachhaltigen Einführung in psychologische Fragen. Es dürfte funktioniert haben: Die Webster-Studenten schauten nicht einmal auf die Uhr, als er um eine halbe Stunde überzog. (Michael Freund/DER STANDARD, Printausgabe, 18.5.2007)