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Der Schriftsteller Gerhard Roth, bekannt unter anderem für seine Essays über Gefängnisse und Gerichte, setzt diese Serie im STANDARD mit Texten über das Asylwesen fort. Über die Diskrepanz zwischen modernen Flüchtlingsbewegungen und den Umgang mit ihnen.

Foto: APA/Schlager
Traiskirchen/Wien - Bei unserem Besuch Ende März bekamen wir im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen vor allem die Kulissen zu sehen. Die Telefonzellen gleich hinterm Eingang, vor denen sich in Zeiten des Flüchtlingsansturms einst die Menschenschlangen wanden, waren leer. Nur vereinzelt hatten Frauen mit Kopftüchern Sessel unter die Schatten spendenden Bäume zwischen den Wohn- und Versorgungsblöcken gerückt.

Auf dem Platz gleich daneben hatten eines heißen Sommertags 2002 rund 150 Kosovaren die Anwesenheit von Journalisten genützt, um durch einen Sitzstreik auf die damals unzumutbaren Wohnbedingungen aufmerksam zu machen. Diesmal blieb mir ein älterer, grauhaariger Mann mit einem staubigem Koffer im Gedächtnis, der in Begleitung eines erregt auf ihn einredenden jüngeren Schwarzhaarigen des Weges kam.

Misstrauen

Bei Gerhard Roth, dem Schriftsteller, der das berüchtigte "Lager" Traiskirchen an diesem Tag zum ersten Mal von innen sah, rief diese Leere Misstrauen hervor. Vielleicht habe man unmittelbar vor unserer Ankunft das Taschengeld ausgezahlt, mutmaßte er. Unmöglich wäre das nicht: Dass Schreibern abseits der Krone von den für Flüchtlinge offiziell Verantwortlichen hier am liebsten kein Zugang erteilt würde - und wenn schon, dann so begrenzt wie möglich - ist nicht neu.

Wie schon öfter, so auch diesmal: Anrufe eines Kollegen im Innenministerium, dass Roth und Begleitung einen Besuch in Traiskirchen und in der Wiener Schubhaft, der "Liesl" plane, blieben unbeantwortet. Erst ein Anruf aus der Standard-Chefetage brachte Bewegung ins Spiel.

Pauschale Gefahr
Später wurde Roth von Beamten gefragt, ob er sich darüber im Klaren sei, dass er sich im Schubgefängnis einer gewissen Gefahr aussetzen werde. Menschen, die man im Rahmen simpler Verwaltungsabläufe eingesperrt hat, wurden pauschal zur Gefahr erklärt. Auch das nicht neu.

Das ist keine Klage, sondern eine Schilderung: Klagen wäre im internationalen Vergleich, angesichts der Repression, die andere Staaten kritischen Beobachtern gegenüber an den Tag legen, vermessen. Doch gerade der Wohlstand und die Freiheit, wie sie freier auf dieser Welt derzeit nicht zu haben ist, bringt Verfolgte und Entrechtete dazu, nach Europa zu flüchten. Und es wird immer fraglicher, ob die rein sicherheitspolitische Antwort, die Österreich derzeit gibt, die richtige ist.

Zweierlei habe ihn am österreichischen Flüchtlingswesen überrascht, sagte Roth nach seinen Lokalaugenscheinen. Erstens, dass sich die Lokalitäten zwar in relativ gutem Zustand befänden, die Mentalität der verantwortlichen Beamten aber weiterhin "ungebrochen jene der 1950er-Jahre" sei. Zweitens, wie heftig und wie global das Elend sei, dass heute an die Grenzen klopfe. Neue Herausforderungen, beantwortet mit den Einstellungen von vorgestern: eine größer werdende Diskrepanz. (Irene Brickner; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.5.2007)