Andreas Hafer, Wolfgang Hafer:
Hugo Meisl oder die Erfindung des modernen Fußballs
Verlag Die Werkstatt 384 Seiten, 29,90 Euro

Foto:Verlag Die Werkstatt
Ja, natürlich ist es ungerecht, den österreichischen Fußball als einen ununterbrochenen Abstieg beschreiben zu wollen. Aber was im Fußball wäre das nicht? Und ja, die jetzige Generation kann nichts für den Umstand, dass sie im Schatten einer erinnerungswürdigen Vergangenheit lebt. Aber man wird ja wohl noch darüber reden dürfen.

Darüber zum Beispiel, dass die Enkel der Gründergeneration gerade mit einer atemberaubenden Unverschämtheit dabei sind, das Erbe der Großväter zu verprassen. Darüber zum Beispiel, dass jeder lebende Funktionär in diesem Land Knoblauch in die Fenster hängen sollte. Es könnte nämlich sein, dass er sonst um die Mitternacht Besuch bekommt. Von Hugo Meisl. Und Hugo Meisl wird dann nicht bloß zum gemütlichen Fachsimpeln gekommen sein.

Den Stein, der das Grab Meisls markiert (für allfällige Ehrengrabdiskussionen: Zentralfriedhof, Tor 4, Gruppe 3, Reihe 4, Nummer 11), schmücken die hebräischen Buchstaben T. N. Z. B. H.: "Möge seine Seele eingebunden sein im Bündel des Lebens".

Der fromme Wunsch sieht so aus: Am 17. Feber jährte sich zum 70. Mal der Todestag des "Vaters des Wunderteams". Der ÖFB schien darauf ebenso vergessen zu haben wie die Austria, die als "Amateure" ja ganz eng verbunden war mit dem böhmischen Juden, der ganz Europa vorgehüpft ist, wie der Fußball auf eine ökonomisch tragfähige Basis gestellt werden kann.

Zum Glück hatte Hugo Meisl drei Kinder. Ein Sohn ist schon verstorben, eine Tochter lebt in Wien, eine in Deutschland, und deren Söhne, Andreas und Wolfgang Hafer, haben nun eine penibel recherchierte, mit vielen familiären Details bereicherte, umfassende und wohl endgültige Biografie vorgelegt, die im Göttinger Verlag Die Werkstatt erschienen ist.

Servas die Wedln

Dort wird die Erinnerung an den österreichischen Fußball mit wunderbaren Büchern seit Jahren höher gehalten als hierzulande, wo man ganz verstrickt ist in den Erhalt einer von Konkursen gebeutelten Liga, deren einziges Spannungsmoment der Kampf um die Plätze zwei und drei ist, das aber auch nur, weil Mattersburg offenbar Mattersburg ist und bleibt - Servas die Wedln.

Es war ja nicht so, dass die Bedingungen, die Hugo Meisl in den 20er-Jahren vorfand, idealer gewesen wären: Vereinskonkurse, astronomische Spielergagen, größenwahnsinnige Funktionäre. Alles schon dagewesen. Aber diesen Bedingungen und der Amateurdebatte zum Trotz schuf Meisl, den Blick gerichtet auf die Möglichkeiten der Wirklichkeit, den modernen Fußball: die erste Profiliga des Kontinents, die erste internationale Vereinskonkurrenz des Kontinents, die erste Konkurrenz für Nationalmannschaften des Kontinents. Aber von dem allem will Österreich nichts mehr wissen.

"Kein Denkmal auf dem Heldenplatz oder wenigstens vor dem Stadion, kein Hugo-Meisl-Platz, keine Hugo-Meisl-Allee, kein Hugo-Meisl-Haus, keine Hugo-Meisl-Gedächtnisstätte...", schreiben, verwundert, seine Enkel. Der Fußball brutzelt statt dessen im eigenen, ranzig gewordenen Saft. Und wenn es etwas gegeben hat, das Hugo Meisl wirklich verabscheut hat, dann genau das. (Wolfgang Weisgram, DER STANDARD Printausgabe 19.05.2007)