Der Autor ist Vorstand des Instituts für Systematische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien

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Leonardo Boff, prominenter Vertreter der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, hat Papst Benedikt XVI. anlässlich seiner Brasilien-Reise scharf kritisiert ("Ein Missionar der Ignoranz", der Standard, 18. 5.) . Dessen ablehnende Haltung gegenüber der Befreiungstheologie und einem Katholizismus mit indigen-schwarz-lateinamerikanischem Antlitz verurteilt Boff als Ausdruck theologischer, historischer und politischer Ignoranz. Offenbar auch unter dem Eindruck des Wachstums charismatischer Kirchen in Brasilien und weltweit gipfelt Boffs Abrechnung in dem Vorwurf, Benedikt XVI. propagiere eine Theologie ohne Geist. Wenn der Papst die absolute Zentralstellung Jesu Christi sogar bei sozialen Angelegenheiten betone, hört Boff einen fundamentalistischen Ton heraus. Der "Christomonismus" des Papstes schaffe nur Schwierigkeiten im Dialog zwischen den Religionen und führe zu einer Art Diktatur von Christus in der Kirche, als gebe es nicht auch den Heiligen Geist als Quelle von Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Berechtigte Empörung

Der aktuelle Konflikt zwischen Boff und Benedikt XVI., vormals Kardinal Ratzinger, hat bekanntlich eine lange Geschichte. Als Präfekt der Glaubenskongregation war es der jetzige Papst, der gegen Boff ein Lehrverbot verhängte. Der "Fall Boff" wurde zur exemplarischen Abrechnung des Vatikans mit der Befreiungstheologie insgesamt.

Zuletzt hat der Vatikan den Befreiungstheologen Jon Sobrino wegen angeblich ketzerischer Ansichten in Fragen der Christologie verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, in seinen Schriften über den "befreienden Jesus" die Göttlichkeit Christi entwertet zu haben. Zu Recht hat Sobrinos Verurteilung weltweit einen Sturm der Entrüstung und unter Theologen eine Welle der Solidarität ausgelöst.

Wie sich Benedikt XVI. die Göttlichkeit Christi denkt, kann man in seinem Bestseller "Jesus von Nazareth" nachlesen. Zwar betont der Autor, dass dieses Buch kein lehramtlicher Text ist, sondern einzig Ausdruck der persönlichen Suche des Verfassers "nach dem Angesicht des Herrn". So stehe es jedermann frei, ihm zu widersprechen - eine Selbstverständlichkeit, die manche Rezensenten offenbar schon für eine Sensation halten.

Aber dass Ratzinger das Werk unter seinem Doppelnamen "Joseph Ratzinger - Benedikt XVI." veröffentlicht hat, rückt die Bescheidenheit des Autors ins Zwielicht. Dass es eben nicht einfach Herr Ratzinger ist, sondern auch der Papst, der hier sein Jesus-Bild zeichnet, verleiht dem Buch eine Autorität, die katholische Theologen bei ihrer künftigen exegetischen und dogmatischen Arbeit schwerlich ignorieren können.

Bekenntnis zu Jesus

Ratzingers restaurative Sicht des katholischen Glaubens und der katholischen Kirche, die mitverantwortlich für die gegenwärtige Stagnation in der Ökumene sind, werden von Boff und vielen anderen Theologen mit Recht kritisiert. Und dennoch: Ratzinger alias Benedikt XVI. lässt sich nicht einfach als Fundamentalist und politischer Reaktionär abqualifizieren. Sein Jesus-Buch ist durchaus lesenswert, und was den Dialog der Religionen wie auch die Lage der Christenheit angeht, verdienen dieser Papst und seine unbequemen Botschaften Gehör - auch unter Nichtkatholiken.

Das Problem der Kirchen ist heute längst nicht mehr ein Christomonismus ohne Geist, wie Boff meint, sondern ein Christentum ohne Christus. Die Rede vom Geist verflüchtigt sich zu einer diffusen Spiritualität. Im Unterschied dazu wird der Heilige Geist im Neuen Testament als der Geist Christi bezeichnet. Damit wird zugleich ein Kriterium benannt, die Geister auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten zu unterscheiden.

Das Christentum unterscheidet sich nun einmal von allen sonstigen Formen von Religion durch das Bekenntnis zu Jesus Christus als Heilsbringer. Eben darum wurden und werden die an ihn Glaubenden Christen genannt. Notwendige Fragen

Dieses Bekenntnis aber schließt den Glauben an den von Jesus verkündigten Gott ein, der wiederum der Gott Israels ist. Nicht eine vage Spiritualität oder Gottoffenheit, sondern das Christusbekenntnis ist der entscheidende "Marker", an dem das Label "Christentum" auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten erkannt wird. Von hier aus ist die Identität von Glaube und Kirche zu bestimmen.

Das erfordert freilich auch Redlichkeit auf seiten der Kirchen, wenn es darum geht, die eigene Lage einzuschätzen, keine Schönfärberei. Auf die Anfänge des Verstehens zurückgeworfen, gilt es neu zu fragen: Was bedeutet Christus für diese Welt, und was heißt es, ein Christ zu sein? (DER STANDARD, Printausgabe, 21.5.2007)