Der aktuelle Konflikt zwischen Boff und Benedikt XVI., vormals Kardinal Ratzinger, hat bekanntlich eine lange Geschichte. Als Präfekt der Glaubenskongregation war es der jetzige Papst, der gegen Boff ein Lehrverbot verhängte. Der "Fall Boff" wurde zur exemplarischen Abrechnung des Vatikans mit der Befreiungstheologie insgesamt.
Zuletzt hat der Vatikan den Befreiungstheologen Jon Sobrino wegen angeblich ketzerischer Ansichten in Fragen der Christologie verurteilt. Ihm wird vorgeworfen, in seinen Schriften über den "befreienden Jesus" die Göttlichkeit Christi entwertet zu haben. Zu Recht hat Sobrinos Verurteilung weltweit einen Sturm der Entrüstung und unter Theologen eine Welle der Solidarität ausgelöst.
Aber dass Ratzinger das Werk unter seinem Doppelnamen "Joseph Ratzinger - Benedikt XVI." veröffentlicht hat, rückt die Bescheidenheit des Autors ins Zwielicht. Dass es eben nicht einfach Herr Ratzinger ist, sondern auch der Papst, der hier sein Jesus-Bild zeichnet, verleiht dem Buch eine Autorität, die katholische Theologen bei ihrer künftigen exegetischen und dogmatischen Arbeit schwerlich ignorieren können.
Bekenntnis zu Jesus
Ratzingers restaurative Sicht des katholischen Glaubens und der katholischen Kirche, die mitverantwortlich für die gegenwärtige Stagnation in der Ökumene sind, werden von Boff und vielen anderen Theologen mit Recht kritisiert. Und dennoch: Ratzinger alias Benedikt XVI. lässt sich nicht einfach als Fundamentalist und politischer Reaktionär abqualifizieren. Sein Jesus-Buch ist durchaus lesenswert, und was den Dialog der Religionen wie auch die Lage der Christenheit angeht, verdienen dieser Papst und seine unbequemen Botschaften Gehör - auch unter Nichtkatholiken.
Das Problem der Kirchen ist heute längst nicht mehr ein Christomonismus ohne Geist, wie Boff meint, sondern ein Christentum ohne Christus. Die Rede vom Geist verflüchtigt sich zu einer diffusen Spiritualität. Im Unterschied dazu wird der Heilige Geist im Neuen Testament als der Geist Christi bezeichnet. Damit wird zugleich ein Kriterium benannt, die Geister auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten zu unterscheiden.
Dieses Bekenntnis aber schließt den Glauben an den von Jesus verkündigten Gott ein, der wiederum der Gott Israels ist. Nicht eine vage Spiritualität oder Gottoffenheit, sondern das Christusbekenntnis ist der entscheidende "Marker", an dem das Label "Christentum" auf dem Markt der religiösen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten erkannt wird. Von hier aus ist die Identität von Glaube und Kirche zu bestimmen.