Zur Person

Ulrich Jäger ist Leiter der Klinischen Abteilung für Hämatologie und Hämostaseologie der Medizinischen Uni Wien am AKH. Er ist Experte auf den Gebieten der Hämato-Onkologie und im Speziellen von Lymphomen und Leukämien.

Foto: Standard/Jäger
STANDARD: Herr Jäger, Sie arbeiten eng mit der Deutschen Hodgkin Studiengruppe zusammen. Dort wurde ein Konzept entwickelt, mit dem man diesen Blutkrebs hervorragend behandeln kann. Was ist das Geheimnis?

Jäger: Die Therapie folgt einem "Alles-oder-nichts-Prinzip". Flapsig ausgedrückt heißt das: Die Patienten bekommen die ganze Packung. Medizinisch richtig ist, dass sie abwechselnd ganz verschiedene Chemotherapeutika nach dem so genannten Beacopp-Protokoll einnehmen. Jeder Buchstabe steht dabei für ein anderes Mittel. Die einen verhindern die Zellteilung, andere töten die Zelle, wiederum andere unterdrücken ihre Reifung. Bei über 80 Prozent der Patienten lassen sich die Reed-Sternberg-Zellen auf diese Art vollständig auslöschen. Das hängt damit zusammen, dass sie schnell wachsen. Denn grundsätzlich wirken Chemotherapien bei aggressivem Krebs ja besser. Je nach Stadium oder Auftreten der Lymphome bestrahlt man die Patienten zusätzlich.

STANDARD: Der Preis für diese Behandlung kann hoch sein. Das harte Vorgehen zeigt langfristig Nebenwirkungen.

Jäger: Das ist richtig. Nachdem die Strategie nun über mehr als ein Jahrzehnt etabliert ist, musste man feststellen, dass etwa zehn Prozent der Patienten zehn bis zwanzig Jahre nach der aggressiven Chemotherapie Leukämien oder solide Tumoren entwickeln können, die letztlich schwieriger zu behandeln sind als Morbus Hodgkin. Ein Teil der Patienten, die im Brustbereich bestrahlt wurden, leiden später an Angina Pectoris oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße. So etwas beobachtet man leider erst in Langzeitstudien, doch das ist natürlich nicht hinzunehmen.

STANDARD: Gibt es keine Alternativen?

Jäger: In den angelsächsischen Ländern verfolgt man ein anderes Prinzip. Dort wählt man eine weniger drastische Chemotherapie mit dem Risiko, dass der Krebs zurückkehrt. Dann allerdings folgt eine Knochenmarkstransplantation, weil je nach Art des Lymphoms die Prognose schlecht ist. Zudem ist die Behandlung höchst belastend und kann zu erheblichen Komplikationen führen. Man muss einfach abwägen: Beide Vorgehensweisen haben Vor- und Nachteile. Wir halten uns hier an das deutsche Protokoll (Anm: genau fest gelegtes Behandlungsschema) und versuchen bei Patienten mit einer guten Prognose, die Behandlung möglichst früh wieder zurückzufahren. Derzeit wird die gerade noch wirksame Therapie bei Niedrigrisikopatienten ausgelotet.

STANDARD: Wie kann man den Verlauf beurteilen?

Jäger: Der Hauptrisikofaktor ist erst einmal das Alter der Patienten und ihre körperliche Konstitution. B-Zellen sind wichtige Komponenten des Immunsystems. Entarten sie, schwächen sie über den Verlauf der Krankheit das Abwehrsystem. Virus- und Pilzinfektionen häufen sich. Bei älteren Menschen, HIV-Kranken oder Patienten mit angeborener Immunschwäche hat der Krebs ein einfacheres Spiel. Auch das Geschlecht spielt bei Morbus Hodgkin eine Rolle. Männer haben die schlechteren Karten. Sie erkranken auch etwa ein Drittel häufiger als Frauen. Und natürlich hängt die Prognose vom Stadium ab, in dem der Krebs entdeckt wird.

STANDARD: Wenn über 80 Prozent geheilt werden können, bleiben noch knappe 15 Prozent, bei denen das nicht der Fall ist ...

Jäger: Genau, und diese 15 Prozent bereiten mir Sorgen. Bei einem Teil ist der Krebs schon zu weit fortgeschritten. Deswegen appelliere ich an alle, deren Lymphknoten ohne ersichtlichen Grund über Wochen geschwollen sind, die fiebern und nachts schweißgebadet aufwachen oder über einen unerklärlichen Juckreiz klagen, den Arzt aufzusuchen. Je frühe man Morbus Hodgkin diagnostiziert, umso besser ist seine Prognose. Schlimmer ergeht es denjenigen, bei denen die Krebszellen nicht mehr auf die Chemotherapie ansprechen, weil sie resistent geworden sind. Gegen die haben wir nur wenig in der Hand und hoffen deshalb auf neue Wirkstoffe oder die Stammzellentransplantation mit gesunden Spenderzellen. (DER STANDARD, Printausgabe, Edda Grabar, 21.5.2007)