Bild nicht mehr verfügbar.

Winzige Pilze in Tschernobyls Reaktor-Ruine brachten Forscher auf neue Ideen.

Foto: Reuters/Chernichkin
New York - Für Menschen ist das Areal lebensgefährlich, deshalb schickte man einige Jahre nach dem Super-GAU des Jahres 1986 Roboter in die Reaktor-Ruinen von Tschernobyl. Was sie dort auf den Wänden fanden, waren unter anderem mikroskopisch kleine schwarze Pilze, die prächtig zu gedeihen schieden.

Arturo Casadevall von der Yeshiva University in New York brachte dieser überraschende Fund vor fünf Jahren auf die Idee, mit diesen Pilzen zu experimentieren. Gemeinsam mit Kollegen, unter anderem vom Albert Einstein College in New York, verglich der Forscher das Wachstum verschiedener Pilzarten unter verschiedenen Bedingungen: entweder mit der natürlich vorkommenden radioaktiven Hintergrundstrahlung oder mit bis um 500-mal größerer Strahlendosis.

Strahlendes Wachstum

In der Fachzeitschrift PLoS One berichten Casadevall und Co über die erstaunlichen Ergebnisse: Pilzarten, die Melanin enthielten, zeigten unter dem starken Strahlenbeschuss keinerlei Schäden. Die Forscher beobachteten sogar ein deutlich stärkeres und schnelleres Wachstum bei diesen Pilzarten.

Warum aber fühlen sich diese Mikroorganismen gerade in solchen Böden wohl, denen kein Mensch allzu nahe kommen wollte? Wangiella dermatitidis und Cryptococcus neoformans zum Beispiel siedeln und gedeihen sogar in Erde, die stark radioaktiv verseucht ist.

Radioaktive Strahlung könnte bestimmten Pilzarten als Nahrung dienen, folgern die Forscher. Und Melanin ermögliche es ihnen, die Strahlung umzusetzen. Damit könnten die Mikroorganismen auch unabhängig von organischen Stoffen wachsen, die von anderen Lebewesen gebildet wurden. Das widerspricht bisherigen Annahmen.

Der verantwortliche Mechanismus scheint hierbei ähnlich zu funktionieren wie die Photosynthese von Pflanzen, die mithilfe von Chlorophyll Sonnenlicht in chemische Energie umwandeln, wie Casadevall und Co schreiben. Weitere Hinweise liefern Untersuchungen an den Melanin-Molekülen selbst: Nach der radioaktiven Bestrahlung konnte der Farbstoff eine Schlüsselverbindung des Stoffwechsels (NADH) viermal schneller verändern als nicht bestrahltes Melanin.

Etwas Ähnliches passiert bei der Photosynthese: Eine so genannte Lichtfalle sammelt einen Teil der Lichtenergie und nutzt diese zum Aufbau von Traubenzucker. Wahrscheinlich habe die Energie der radioaktiven Strahlung einen Einfluss auf die Elektronen im Melanin, heißt es in PLoS One. Melanin ist auch in Hautzellen des Menschen vorhanden.

Essen für Astronauten

Für mögliche Anwendungen ihrer Entdeckung haben die Wissenschafter auch schon Ideen: Astronauten könnten die Pilze als unerschöpfliche Nahrungsquelle bei langen Missionen im All dienen, da dort überall radioaktive Strahlung in großer Menge vorhanden ist. Mahlzeit! (dpa, tasch/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24. 5. 2007)