Wer einschlägige "Kontakt"-Anzeigen studiert, wird rasch fündig: "Alles ohne" wird bei Prostituierten immer öfter angeboten. Die Folge: Jene, die sich schützen, machen kein Geschäft mehr – gleichzeitig gehen die Infektionsraten in die Höhe. Auch von Syphilis und Tripper.

Wien – "Wir verhungern", berichtet N. Sie arbeitet in Wien-Penzing – aber das Geschäft geht den Bach runter. Denn N. hat einen gravierenden Nachteil gegenüber ihrer Konkurrenz: Denn sie ist Prostituierte und macht es nur mit Schutz. "Es ist ein Wahnsinn. Die Leute rufen an, aber sobald ich sag, dass ich's nur mit Gummi mach, legen sie gleich wieder auf. Oder sie fragen: Warum?", erzählt N. "Warum, warum? Na, weil ich nicht sterben möcht! Manche sagen sogar, beim Blasen könnt eh nur ich was bekommen."

"Es gibt einfach zu viele, die alles machen", weiß N. "Blasen, Verkehr, Griechisch – alles ohne Schutz. Die können schiach sein und ohne Zähne – Hauptsache ohne." Gleichzeitig hat N. aber gehört, dass die Infektionsraten in den letzten Jahren wieder nach oben gingen. Und deshalb hat sie sich entschlossen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Schutzbehauptung

"Ich kann das alles leider nur bestätigen", weiß Elisabeth Mayer. Sie leitet das Streetwork in der Ambulanz für "Sexually Transmitted Deseases" (STD) in der Wiener Neutorgasse. Jener Ort also, wo Prostituierte mit "Deckel" und also mit Gesundheits-Kontrollkarte, regelmäßig ihre Untersuchungen absolvieren.

Seit 1994 ist Elisabeth Mayer beratend in der Szene unterwegs und hat sich dabei das Vertrauen einiger Frauen erworben. "Eine Frau in der Mariahilfer Straße hat mir berichtet, dass sie bereits aus reiner Schutzbehauptung erklärt, sie sei HIV-positiv." Und dann habe Mayer bei den Anbahnungsgesprächen zuhören dürfen. Die Antworten, die aus den Autos kamen, begannen mit: "Steig ein, i bin immun." Und endeten bei einem Mann in der Familienkutsche mit Kindersitz, der antwortete: "Steig ein, das wollt i immer scho'. Endlich a neuer Kick."

Das Problem sei, dass Aids den großen Schrecken der ersten Jahre verloren habe, berichtet Mayer weiter. "Viele sagen, es gibt eh die Kombinationstherapie – und unterschätzen die Nebenwirkungen." Dabei sind die Zahlen der HIV-Neuinfektionen zwar halbwegs stabil – aber im Zuge der "Kondommüdigkeit" treten auf einmal wieder vergessen geglaubte Probleme auf: Immer wieder werden Tripper-Fälle entdeckt. Und "allein 2006 hatten wir in Wien 219 männliche und 95 weibliche Syphilis-Infektionen. Auch diese Krankheit kann tödlich sein, wenn sie unentdeckt bleibt." Nicht nur das: "Seit 1997 werden in Wien wieder Kinder mit angeborener Syphilis zur Welt gebracht – körperlich und/oder geistig behindert." Einmal habe Mayer erleben müssen, wie einer hochschwangeren Mutter Syphilis diagnostiziert wurde – "als im Spital die Geburt eingeleitet wurde, ist das schwerstbehinderte Kind in der Gebärmutter gestorben".

Tripper im Mund

Verharmlosungen und beruhigende Sprüche sind für Mayer da vollkommen unverständlich: "Geschlechtsverkehr ohne Kondom ist einfach sehr fahrlässig. Ansteckungsgefahr ist bei Anal- und Oralverkehr gegeben. Man kann auch einen Tripper im Mund haben."

Jene mit Kontrollkarte "arbeiten meist professionell und schützen sich", weiß Mayer. Im April 2007 waren das in Wien 1352 Frauen und 21 Männer. Die große Gefahr seien aber "die Illegalen zu Dumpingpreisen auf dem Straßenstrich. Und jedes Mal wenn wir unterwegs sind, sehen wir neue Gesichter." Viele pendeln aus der Region Bratislava-Györ-Znaim ein. In jüngster Zeit kommen auch viele aus den neuen EU-Ländern.

N. ist aus Ungarn und schützt sich. Aber sie ist auch sonst eine Ausnahme: "Ich versteuere meine Einkünfte und zahle Sozialversicherung." Am liebsten wäre es ihr, "wenn das ein richtiges Gewerbe wäre. Dann könnte man auch Verkehr ohne Schutz leichter verbieten." (Roman David-Freihsl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.5. 2007)