Nicht für alle Nordiren bot der organisierte Fußball in den vergangenen Dezennien einen heimeligen Ort. (Im Bild: Linfield Belfast versucht sich in Nachwuchspflege.)

Foto: Robausch

Um den Hals fallen wird man sich in absehbarer Zeit wohl nicht. In der gespaltenen Gesellschaft Nordirlands geht es erst einmal darum, dass Menschen aus beiden Traditionen - protestantisch/unionistisch und katholisch/republikanisch - überhaupt in Kontakt zueinander treten. Und zwar, besonders wichtig, auf gleicher Augenhöhe. Sport ist in der Provinz eine der wichtigsten sozialen Aktivitäten, doch Gemeinschaft zwischen Protestanten und Katholiken kann er nur in den seltensten Fällen stiften. Wer in Nordirland welchen Sport betreibt, hängt davon ab, ob diesem eine irisch/gälische oder britische Tradition zugeschrieben wird. Verkürzt dargestellt sieht das so aus: Katholiken spielen Gaelic Football und Hurling, Protestanten Rugby und Hockey. Über das konfessionell organisierte Schulwesen wird dieses Muster perpetuiert, der Sport-Lehrplan protestantischer und katholischer Bildungseinrichtungen unterscheidet sich drastisch.

Fluch der Popularität

Die Ausnahme heißt (neben Boxen): Fußball. Alle mögen ihn, alle spielen ihn. Und da beginnen die Probleme. Es ist eine Ironie, dass der Fußball gerade durch seine große Ausstrahlung in beide Lager, seine Nicht-Exklusivität, seine Durchmischtheit in besonderem Ausmaß von den Auswirkungen der sozialen Verwerfungen Nordirlands getroffen wurde: Gewalt, Bigotterie, Nationalismus, Sektierertum, Diskriminierung, Entfremdung. Dazu kommt der repräsentative Charakter des populären Mannschaftssports, in dem die Teams für ihre jeweilige Anhängerschaften stehen. Und die setzten sich zum überwiegenden Teil aus jüngeren Männern aus der Arbeiterklasse zusammen - exakt jene Gruppe, die sich an den Frontlinien der "Troubles" wiederfindet. Der Fußball dient hier als willkommenes Forum zur Manifestation von Identitäten und der (mehr als symbolischen) Inbesitznahme von Territorium.

Auf internationaler Ebene führt die umstrittene politische Identität der Provinz zu einer beinahe absoluten Polarisierung. (Die Existenz von zwei rivalisierenden Fußball-Auswahlen stellt in der organisatorischen Struktur des irischen Sports übrigens die absolute Ausnahme dar.) Katholiken präferieren dann ganz eindeutig die Auswahl der Republik Irland, Protestanten dagegen das nordirische Team. Dabei spielt die bei solchen Gelegenheiten unvermeidlich in den Fokus geratende Symbolik eine besondere Rolle. Es werden Hymnen zur Aufführung gebracht und Fahnen geschwungen. Aber welche? Immerhin war in Nordirland die öffentliche Zurschaustellung der irischen Trikolore bis in die späten 80er Jahre verboten und immer wieder Kristallisationspunkt bitterer Auseinandersetzungen. Etwa, wenn eigens dafür gebildete Polizeieinheiten Fanblöcke stürmten, um den Leuten ihre Embleme wegzuschnappen. Es gilt die Logik des Nullsummenspiels: der Gewinn einer Gruppe war der Verlust der anderen.

Katholiken unerwünscht?

Im nationalen Zusammenhang entluden sich die Spannungen, wenn Klubs mit protestantischem Hintergrund auf katholisch dominierte Vereine trafen. Besonders problematisch stellte sich die Lage in der konfessionell zerklüfteten Geographie von Belfast dar. Das vor solchen Matches von Lokalpolitikern und Boulevardmedien betriebene Ballyhoo, lässt tatsächlich aufgeflammte Gewalt manchmal als sich selbst erfüllende Prophezeiung erscheinen. Jedenfalls durfte aufgrund von Sicherheitsbedenken das katholischen Community zugeschriebene Cliftonville aus dem Norden der Stadt seit den frühen 70er Jahren seine Heimspiele gegen Linfield mit seiner prononciert loyalistischen Anhängerschaft nicht mehr auf eigenem Platz austragen. Sie fanden stattdessen im Windsor Park statt - dem einzigen Stadion Nordirlands in dem die effektive Trennung rivalisierender Fangruppen möglich ist. Und: dem Heimstadion Linfields. Was aus polizeilicher Sicht durchaus sinnvoll erscheinen mag, musste auf der katholischen Seite als schreiende Ungerechtigkeit ankommen. Dass in Ermangelung eines Nationalstadions auch die nordirische Auswahl in Windsor antritt, macht sie Katholiken ganz sicher nicht sympathischer.

Aufgrund der existierenden Datenlage kann davon ausgegangen werden kann, dass die Spieler in der höchsten nordirischen Liga zu ungefähr gleichen Teilen aus beiden Gemeinschaften rekrutiert werden. Im Gegensatz dazu sind jedoch fast alle Klubs dem protestantischen Lager zuzuschreiben. Sie werden von Menschen mit einem Hintergrund in dieser Gemeinschaft verwaltet und auch ihre Fans kommen von dort. Mit Cliftonville war lange Zeit nur noch ein einziger prononciert katholischer Verein vertreten. Kein Wunder, dass sich unter katholischen Fußballinteressierten das Gefühl verbreitete, ohnehin unerwünscht zu sein. Dieses wurde verstärkt, durch unausgewogene und manchmal auch bloß ungeschickte Taktiken der Sicherheitskräfte im Umgang mit Fans aus den konfligierenden Lagern. Viele verabschiedeten sich daher aus der nordirischen Szene und fanden Asyl in Schottland bei Celtic Glasgow oder in England bei Manchester United. Zusammenfassend scheint der Fußball zumindest während der letzten gut 25 Jahre die Polarisation in der Gesellschaft eher verstärkt zu haben.

Politische Verantwortung

Immerhin hatte all das zur Folge, in den Gremien des organisierten Fußballs die Überzeugung reifen zu lassen, dass das gestörte Verhältnis zwischen den Gemeinschaften etwas ist, dem man sich zu stellen hat. Beileibe keine Selbstverständlichkeit. Wie eine Untersuchung des Centre for the Study of Conflict der University of Ulster aus dem Jahr 1995 ergab (John Sugden, Scott Harvie "Sport and Community Relations in Northern Ireland"), sehen Vertreter der meisten anderen Sportarten keine Notwendigkeit, Aktivitäten im Bereich Community Relations zu setzen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Da wäre einmal eine grundsätzlichen Unwilligkeit, sich auf politische Fragen überhaupt einzulassen. Hier geht es doch um Sport, oder? Immer wieder jedoch hatte die ablehnende Haltung auch einfach mit der Angst zu tun, womöglich in ein schiefes Licht zu geraten. Wies man derartigen Dingen eine positive Rolle zu, könnte das ja als Eingeständnis von Problemen interpretiert werden. Und am Ende gar die Punze des Sektierers aufgedrückt zu bekommen, dazu hat kaum jemand Lust.

Der Fußballverband (Irish Football Association, IFA) ist jedoch seit geraumer Zeit sehr bemüht, seinen Sport für alle Menschen in Nordirland zu öffnen und ein Klima der Toleranz zu befördern. In seinem Entwicklungsplan 2003 formuliert die IFA ihre Vision, bis 2007 Fußball zum offensten Sport in Nordirland zu machen, an dem zu partizipieren für alle ein Anreiz sein soll. Dabei geht es einmal darum, im Kinder- und Jugendbereich Rahmenbedingugen zu schaffen, die Begegnungen über die konfessionellen Schranken hinweg ermöglichen. Der zweite wichtige Punkt betrifft das atmosphärische Umfeld der Nationalmannschaft, die seit Mitte der 80er Jahre in zunehmendem Maß von Hardcore-Loyalisten als ihr exklusiver Besitz reklamiert worden war. In Zusammenarbeit mit dem Dachverband der Fanklubs sollen sektiererische Praktiken rigoros zurückgedrängt und stattdessen das Spiel selbst wieder in den Mittelpunkt gestellt werden.

Vorsichtiger Optimismus

Trotzdem Vorsicht und vielleicht sogar Skepsis angebracht erscheint, was allzu hoffnungsvolle Prognosen bezüglich einer positiven Veränderung von Einstellungen betrifft: Gewisse Fortschritte sind unverkennbar. Die Nordirland-Fans haben 2006 für ihre Bemühungen einen von EU und dem Europäischen Fußballverband ausgelobten Fanpreis gewinnen können, in der Irish League scheint so etwas Normalität eingekehrt. Mit Donegal Celtic ist einem Klub aus dem nationalistischen Westen Belfasts ohne größeres Aufsehen die Aufnahme zugestanden worden. Und Linfield tritt wieder im Solitude von Cliftonville an, ohne dass sich Befürchtungen bestätigt hätten. Die Vereine selbst bemühen sich gar um einen amikalen Tonfall. Zumindest ein kalter Friede scheint konsolidiert. Auf der rein sportlichen Ebene konnten Dividenden in Form eines ausgeweiteten Talentepools sowie der Erschließung zusätzlicher finanzieller Mittel aus öffentlichen Händen bereits kassiert werden. (Michael Robausch)