Dass seine Ambition nicht an mitunter sehr engen nationalen Produktionsgrenzen scheitern wird, dafür hat nun am Sonntag die Wettbewerbsjury der 60. Filmfestspiele in Cannes (Vorsitz: Stephen Frears) Sorge getragen, in dem sie Mungiu die Goldene Palme verlieh: Prämiert wurde einer der denkbar größten Außenseiter, ein ergreifendes Drama über Frauen, die im Zuge einer illegalen Abtreibung zu zerbrechen drohen, und, nicht zuletzt, ein in seiner formalen und inhaltlichen Elaboriertheit bestechendes Werk.
Auch wenn man aus heimischer Sicht bedauern mag, dass Ulrich Seidl mit <>Import Export bei der Preisverteilung leer ausging: Insgesamt traf die Jury weit gehend akzeptable Entscheidungen. Gut, den Regiepreis hätten anstelle von Julian Schnabel und seinem formal zu verspielten Behindertendrama Die Taucherglocke und der Schmetterling wohl eher einige andere verdient.
Aber am Ende solcher Zeremonien sind immer alle schlauer. Sehr erfreulich war unter anderem der Spezialpreis zum 60. Jubiläum des Festivals für den US-Regisseur Gus Van Sant und sein grandioses Jugendlichen-Porträt Paranoid Park. Und besonders hervorzuheben ist der Drehbuchpreis für den deutsch-türkischen Filmemacher Fatih Akin, der mit Auf der anderen Seite einen wahren Glanzpunkt seines bisherigen Schaffens setzte.
Hatte Akin sich bisher noch rechtschaffen, aber mitunter auch forciert dramatisch (Gegen die Wand erhielt 2003 den Goldenen Bären) an interkulturellen Konflikten abgearbeitet, so findet er jetzt eine im besten Sinne offene, gelassene Form. Allein der Auftakt von Auf der anderen Seite, wo die Liebe eines alten Türken zu einer Prostituierten in einem lapidaren Totschlag gipfelt, demonstriert grandios, wie sehr Akin Einstellungen wie Drei-Wort-Sätze zum Abbild einer Welt zu montieren versteht, in der beste Absichten oft an den geringfügigsten Gegebenheiten zerbrechen. Andererseits können sich – entlang einer Reise des Sohnes des unfreiwilligen Mörders in die Türkei – auch beglückende Konstellationen ergeben: Man mochte an die Romane von Georges Simenon denken, wenn man sich diesem wunderbaren Film überließ.
Leider keinen Preis erhielt, weil er nicht im Wettbewerb lief, der französische Doku-Essayist Nicolas Philibert mit seinem jüngsten Meisterwerk Retour en Normandie. Dieser immer noch viel zu wenig bekannte Meister, der zuletzt mit Etre et avoir einen Schulalltag beschrieben hat – er kommt diesmal mit nicht weniger schlichten Voraussetzungen einmal mehr auf den ganzen Reichtum des Lebens und des Kinos.
Die richtigen Fragen
30 Jahre nach den Dreharbeiten zu einem Film, der auf einem Buch von Michel Foucault basierte, dessen Protagonisten wieder zu besuchen und zu befragen: Unspektakulärer kann man es eigentlich nicht angehen. Aber Philibert beherrscht sein Handwerk wie kein Zweiter und zu diesem Handwerk gehört vor allem etwas, das man in Abermillionen von Interviews dieser Tage schmerzlich vermisst: Er kann richtige Fragen stellen.