„Wir haben die Sache verschissen.“ Im Wahlkampf „morgens, mittags, abends gelogen“: Am vergangenen Wochenende vor genau einem Jahr hielt Ungarns Premier Ferenc Gyurcsány seine inzwischen berüchtigte „Lügenrede“. Bis heute ist ungeklärt, wie der Ton-Mitschnitt der Ansprache Gyurcsánys an die Medien gelangte und dadurch die schwerste Regierungskrise seit der Wende vor 17 Jahren auslöste.

Kurz nach den gewonnenen Wahlen und vor Neuauflage der sozial-liberalen Koalition stehend, ging Gyurcsány in seiner Rede auf einer internen Sitzung der Sozialisten im Badeort Balatonöszöd am Plattensee mit seinen Genossen hart ins Gericht. Mit der vor Kraftausdrücken nur so strotzenden Rede („Scheiß-Land“), wollte der Premier die Partei auf sein Reformprogramm einschwören.

Innerparteiliche Gegner

Attila Rajnai, ein Reporter des Wochenblattes Élet és irodalom (Leben und Literatur), kam nun nach monatelangen Recherchen zum wahrscheinlichen Schluss, dass ein heimlich angefertigter Mitschnitt von Gyurcsánys innerparteilichen Gegnern verbreitet worden war. An erster Stelle tippt Rajnai auf den gegenwärtigen Arbeitsminister Péter Kiss, der 2004 gegen Gyurcsány bei dem Rennen um den Parteivorsitz unterlag.

Seinen Verdacht begründet Rajnai mit dem Schweigen der betroffenen Sozialisten rund um Kiss. So ergab eine Überprüfung durch den Geheimdienst, dass die Rede nicht von außen abgehört worden war. Anhänger von Oppositionschef Viktor Orbán hatten ihre Finger also nicht im Spiel. Interessanterweise ließ Gyurcsány allerdings weitere Untersuchungen abstellen. Wer damit geschützt oder welche Art von Burgfrieden gewahrt werden sollte, vermochte Rajnai nicht zu eruieren.

Dass innerparteilicher Verrat hinter der durchgesickerten „Lügenrede“ stecken sollte, wurde nach Erscheinen des Artikels am Pfingstwochenende von der sozialistischen Fraktionschefin Ildikó Lendvai energisch bestritten. Das Motiv könnten vielmehr finanzielle Interessen gewesen sein, meinte sie. Damit wäre aber immer noch nicht erklärt, warum die Untersuchungen gestoppt wurden

Nachdem die Gyurcsány-Rede am 17. September in verschiedenen Medien veröffentlicht worden war, brachen zum Teil rechtsextreme Regierungsgegner gewalttätige Krawalle vom Zaun. (Gregor Mayer aus Budapest/DER STANDARD, Printausgabe, 29. Mai 2007)