Vitamine in ihrer natürlichen Form entfalten ihre Wirkung anders als isoliert in Tabletten. Vorsicht ist bei den fettlöslichen Vitamine A, E und Betacarotin geboten.

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Vitamine naschen ist gesund. Orangensaft zum Frühstück, mittags Gemüse als Beilage, am Abend einen knackigen Salat und zwischendurch mal einen Apfel. Wer sich so abwechslungsreich ernährt, tut seinem Körper etwas Gutes, denn er kann Vitamine nicht selbst herstellen und braucht sie für lebenswichtige Funktionen. Doch nicht jeder hat die Zeit und den Willen, sich so gesund zu ernähren.

Mindestens jeder zehnte Europäer greift daher regelmäßig zu Nahrungsergänzungsmittel, in erster Linie zu Multivitaminpräparaten. Sie sollen den Körper auch im Alltagsstress fit halten und widerstandsfähiger gegen Krankheiten wie Krebs und Herzerkrankungen machen, sagen die Hersteller. Doch Studien geben schon länger deutliche Hinweise, dass eine abwechslungsreiche Ernährung dem Körper genügend Vitamine liefert und noch mehr davon keinen wirklichen Nutzen bringt, ja zu viel davon den Körper eher krank macht.

Gegen freie Radikale

Das Zauberwort, auf das die Vitaminhersteller setzen, lautet Antioxidantien und meint konkret die Vitamine C und E sowie eine Vorform des Vitamin A, das Betacarotin. Seit den 80er-Jahren ist bekannt, dass sie die freien Radikale im Körper unschädlich machen. Freie Radikale entstehen ganz natürlich bei der Zellatmung, und die Wissenschaft weiß schon länger, dass die aggressiven Moleküle zum Beispiel bei Arteriosklerose und altersbedingten Krankheiten eine Rolle spielen. Indem man sie mit Antioxidantien einfängt, hoffte man sie unschädlich zu machen.

Eine Hoffnung, die sich bislang nicht erfüllt hat. Wäre der Nutzen der Vitaminzusätze so eindeutig, wie die Hersteller immer behaupten, hätten die vielen bislang durchgeführten Studien dazu längst klare Beläge liefern müssen, sagt Gerd Antes, der am Deutschen Cochrane-Zentrum in Freiburg die Qualität medizinischer Studien bewertet.

Natürliche Mechanismen

Denn inzwischen geht die Medizin davon aus, dass freie Radikale auch positiv wirken und bei der Abwehr und bei Reparaturvorgängen im Körper beteiligt sind. "Wird die Balance der einzelnen Antioxidantien gestört, funktionieren diese natürlichen Mechanismen nicht mehr", erklärt der Biochemiker Hans Goldenberg vom Institut für Medizinische Chemie der Universität Wien. Außerdem erzeugt der Körper mit Harnsäure selbst das wirksamste Antioxidans.

Allerdings beobachteten die meisten Studien erst dann unerwünschte Nebenwirkungen, wenn über Jahre hinweg regelmäßig zu hohe Dosen, die die sichere Tagesdosis um das Mehrfache übersteigen, verzehrt wurden. Immerhin: "Schon eine handelsübliche Multivitamintablette bewegt sich an der Obergrenze des Tagesbedarfs, sodass eine Überdosierung leicht möglich ist", weiß Goldenberg.

Gar nicht egal

Das Problem sind dabei nicht die wasserlöslichen Vitamine wie Vitamin C - was der Körper an Überangebot nicht verwerten kann, wird einfach mit dem Urin ausgespült. Gefährlicher sind die fettlöslichen Vitamine A, E und Betacarotin, denn sie bleiben längere Zeit im Körper gespeichert und können unter anderem zu Gelbsucht und Blutgerinnungsstörungen führen oder gar das schlechte Cholesterin fördern. Trotzdem, so resümiert Florian Schweifert von der Gesellschaft für angewandte Vitaminforschung, können sich Verbraucher weiterhin sicher fühlen, wenn sie bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln mit Antioxidantien die geltenden Höchstmengen beachten (siehe Tabelle).

Profit

"Doch tatsächlich leidet in unseren Breitengraden nur derjenige unter Vitaminmangel, der sich einseitig ernährt", so Goldenberg. Nichtsdestotrotz gibt es Personengruppen, die von zusätzlichen Vitaminen profitieren. Anstatt aber den "gefühlten" Mangel auf eigene Faust durch hochdosierte Pillen auszugleichen, sollte eher der Arzt aufgesucht werden. So benötigen Schwangere und Ältere andere Vitamine als ein Leistungssportler.

Erst kürzlich berichtete eine Studie, dass durch eine ausreichende Versorgung mit Vitamin D Muskeln und Knochen von älteren Menschen so gestärkt werden, dass sich die Häufigkeit der Stürze halbiert und die Schwere der Verletzungen abnimmt. Da auch Fleisch und andere tierische Produkte Vitamine enthalten und sehr oft sogar bessere Quellen dafür sind, haben Vegetarier fast immer einen Vitamin B12-Mangel. Auch Alkoholiker und Raucher ernähren sich oft wenig ausgewogen.

Unersetzbar

Wer allerdings nur keine Zeit oder Lust auf Obst und Gemüse hat, sollte nicht auf die Idee kommen, stattdessen lieber eine Pille einzuwerfen. Zwar sind Vitamine in Obst und Gemüse identisch mit den synthetisch hergestellten Supplementen, aber in Obst und Gemüse sind auch noch jede Menge andere Schutzstoffe und Nährstoffe enthalten, während die synthetischen nur isoliert vorkommen. "Erst kürzlich zeigte eine Vergleichsstudie, dass Orangensaft eine bessere antioxidative Wirkung hat, als nur das darin enthaltene Vitamin C, und ähnliche Untersuchungen gibt es auch für Äpfel", weiß Goldenberg. Obst und Gemüse ist daher nicht ersetzbar. Und so viel Orangen, Paprika, Tomaten oder Kartoffeln kann man gar nicht essen, dass dies eine Überdosierung zur Folge hätte. (DER STANDARD, Printausgabe, Andreas Grote 29.05.2007)