Moderatorin: Wir begrüßen Michael Musalek ganz herzlich im Chat und bitten unsere UserInnen um ihre Fragen.

Michael Musalek: Ich begrüße auch alle, die sich am Chat beteiligen ganz herzlich.

schick: Jugendliche haben auch schon vor 20 Jahren viel Alkohol getrunken, niemand hat dem besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Glauben Sie nicht, dass diese ganze Panikmache maßlos übertrieben ist, bzw. Jugendliche erst recht dazu angespornt werden dem media

Michael Musalek: Es stimmt, es hat auch schon vor Jahren Rauscherfahrungen von Jugendlichen gegeben. Geändert hat sich allerdings das Einstiegsalter - heute 11-13. Lebensjahr!! Und das immer mehr Mädchen auch Rauschtrinken.

Dr. Bonnie Barstow: trinken jugendliche mehr als...sagen wir mal vor 15 jahren?

Michael Musalek: Die Art des Trinkens hat sich geändert. Früher war der Rausch eher ein "Unfall" der passiert ist. Heute ist er Ziel des Trinkens.

porphyr: warum wird vernachlässigende/misshandelnde erziehung als ja eigentlich naheliegende ursache für komatrinkende kinder so kategorisch von experten als mögliche ursache dafür umschifft/kleingeredet?

Michael Musalek: Ohne Zweifel trinken viele Jugendliche nicht nur aus Jux und Tollerei, sondern um die Probleme die sie selbst nicht lösen können und bei deren Lösung ihnen auch nicht geholfen wird, zu umschiffen.

Dante Alighieri: Welche Ursachen würden Sie hinter diesem Phänomen vermuten?

Michael Musalek: Die Ursachen sind Manigfaltig. Zum ersten ist es die bessere Verfügbarkeit des Alkohols, leider ist es auch "in" große Mengen in rascher Zeit zu trinken. Es darf aber nicht übersehen werden, dass sehr häufig Depressionen und Angstzustände und aussichtslose Lebenssituationen auch sehr oft Grund für Rauschtrinken sind.

sepp schilehrer: Glauben Sie, dass ähnliche strikte Regelungen wie in den USA oder auch in Kanada (unter 18jährige kommen nicht in Bars, unter 18jährige haben KEINE Chance im Lebensmitteleinzelhandel an Alk zu kommen, ...) nicht auch bei uns eingeführt werden sollte

Michael Musalek: Jede Regelung, jedes Verbot wird nur dann wirksam werden, wenn die Betroffenen auch ein entsprechendes Problembewusstsein entwickeln können, sonst werden sie einfach nicht ernst genommen und nicht eingehalten. Wir haben ein hervorragendes Jugendschutzgesetz, das aber letztlich wegen mangelndem Problembewusstsein in der Bevölkerung nur sehr selten eingehalten wird.

NeunZollNagler: Sehr geehrter Herr Musalek. Auch ich habe bereits den ein oder anderen kapitalen Rausch erlebt. Damals ließen mich meine Freunde diesen einfach ausschlafen. Es kommt mir vor, als gälte heute schon jeder, der einen über den Durst getrunken hat, als a

Michael Musalek: Rauschzustände haben verschiedene Stadien. In leichteren Formen tritt Müdigkeit und Schläfrigkeit auf, in mittleren dann bereits tieferer Schlaf, bei noch höheren Dosierungen können dann komatöse Zustände auftreten, die auch zum Tod führen können - in jedem Fall ist eine Alkoholvergiftung ernst zunehmen. Bei ausgeprägter Alkoholvergiftung besteht ohne Zweifel Lebensgefahr, bei leichterer noch nicht.

Mevlana Celaleddin-i Rumi: Gibt es verlässliche Zahlen, die das jüngere Einstiegsalter und das vermehrte "Komasaufen" unter Jugendlichen belegen? Ich hör immer nur aufgebauschte Berichte über Einzelfälle, aber wie sieht es im Gesamten aus?

Michael Musalek: Das Einstiegsalter zum Alkoholkonsum vom 11.-13. Lebensjahr (im Vergleich dazu vor rund 15 Jahren 15.-17. Lebensjahr) ist zahlenmässig gut belegt; auch der Umstand, dass Mädchen heute wesentlich häufiger und mehr Alkohol trinken ist ebenfalls durch Zahlen gut belegt: das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Alkoholkranken zwischen 40. und 50. Lebensjahr beträgt 4:1. Das Verhältnis von bereits regelmäßig alkoholkonsumierenden unter 16 2:1.

Rafaela: aber für den frühen einstieg und die mädchen gibt es wohl plausible erklärungen: die mädchen ziehen mit den buben nach, die pubertät beginnt immer früher. ist das allein schon grund für skandalisierungen?

Michael Musalek: Das sind in der Tat richtige Erklärungen. Es kommt allerdings noch hinzu, dass alkoholtrinken auch in großen Mengen leider auch bei Mädchen in letzter Zeit immer mehr "in" wird.

Beat Hornstein: Wird die Vorbildwirkung von zB Alkoholkonsum in Film und Fernsehen Ihrer Meinung nach über- oder unterschätzt? (zB ORF Extrazimmer) Alkohol ist doch Teil des Alltags, bringt es das, ihn im öff. Leben zu verstecken? Oder sollte Aufklärung nicht vielm

Michael Musalek: Alkohol ist ein fester Bestandteil unserer Kultur, allerdings fehlt uns in vielen Fällen ein entsprechendes Problembewusstsein und eine Risikokompetenz, beides müsste durch entsprechende Aufklärungs- und Werbemassnahmen sowohl im Bereich der Schule und der Familien aufgebaut werden.

schick: In Österreich gilt es als normal das eine oder andere Glaserl zuviel zu trinken, man muss sich fast rechtfertigen, wenn man einmal keinen Alkohol trinken will. Woher kommt diese falsch verstandene "Gemütlichkeit"?

Michael Musalek: Leider haben viele Menschen es verlernt auch ohne Alkohol Freude und Gemütlichkeit erleben zu können. In unserer schnelllebigen Zeit nehmen wir uns oft nicht mehr die Zeit freudvolle Situationen bzw. Begegnungen zu erleben. Viele wollen nur ganz rasch ans Ziel kommen. Dafür wird Alkohol eingesetzt.

slow motion: Wie wichtig ist "Konkurrenz" oder "Mutprobe" als Motiv für jugendliches Trinken ? Und ist jugendliches Trinken nur eine Phase, die vergeht, oder ein nachhaltiger Einstieg in eine (lebenslängliche) Trinker-"Karriere" ?

Michael Musalek: Natürlich sind Jugendliche Grenzgänger, sie müssen es auch sein um ihre Grenzen erfahren zu können, sie brauchen aber Hilfestellungen, wenn sie diese überschreiten um wieder in ihren eigenen Bereich zurück kehren zu können. Eine Alkoholkrankheit entsteht praktisch nie aus Jux und Tollerei, es sind praktisch immer Depressionen, Angstzustände und/oder psychosoziale Probleme, die eine Suchtentwicklung entstehen lassen.

NeunZollNagler: Eine Studie attestiert Alkohol höhere Gefährlichkeit als vielen anderen Drogen. Wäre die Situation Ihrer Ansicht nach anders, wenn nicht der Alkohol unsere Leit- und Kulturdroge wäre?

Michael Musalek: Wir müssen mehrere Gefahrenbereiche unterscheiden: 1. die Gefahr süchtig zu werden: hier braucht es bei Alkohol eine relativ längere Zeit und größere Mengen als bei anderen Drogen. 2. Die körperliche Schädigung: Alkohol gehört zu den schädlichsten Suchtmitteln die heute verfügbar sind - Lebererkrankungen, Erkrankungen des Nervensystems, des Verdauungstraktes, des Herz-Kreislaufsystems,... 3. die psychosozialen Auswirkungen: Leistungsminderung und entsprechende berufliche Probleme, familiäre Probleme, Führerscheinprobleme,... 4. bei illegalen Drogen kommt noch die Strafbarkeit bei Besitz bzw. Handeln dazu.

Andreas Ponik: Wie groß ist der Anteil der Alkoholabhängigen bei Jugendlichen, die bereits in eine Therapie müssen ?

Michael Musalek: Bei den unter 18 jährigen ist der Anteil noch sehr klein. Es sind, da es einen relativ langen (Jahre) und hohen Alkoholkonsum braucht, Einzelfälle. Allerdings beobachten wir eine deutliche Verschiebung des Alters bei beginn der Alkoholkrankheit (vor 10 Jahren noch typischerweise 40-50. Lebensjahr) in Richtung frühere Lebensperioden (gar nicht selten auch schon 20.-30. Lebensjahr). Der jüngste Patiente, den wir schon mit einer körperlichen Abhängigkeit behandelten, war 16 Jahre alt.

Manfred Bieder: Ich komme aus dem Burgenland und da haben sich die Jungen schon seit jeher ins Koma gesoffen. Ich stelle daher keine Veränderung fest. Ist das Komatrinken vielleicht eher ein urbanes Problem?

Michael Musalek: Das Rauschtrinken wird leider immer mehr zum gesamtösterreichischen Problem. Es haben sich die Trinkgewohnheiten insofern geändert als heute immer öfter und immer mehr rasch soviel getrunken wird, dass man schwer berauscht ist. Früher war der Rauschzustand in den meisten Fällen eher ungewollter Effekt stetigen Trinkens.

Wasssertrinker: Ist es nicht vielmehr so, dass - zumindest in ländlichem Umfeld - das Saufen früher ein Teil des Sozialisierungsprozesses war (Feuerwehren, Vereine), wo aber dann auch nichts "passiert" ist, weil eben sozial eingebettet.

Michael Musalek: Rauschzustände gibt es in jeder Kultur, ganz besonders in unserer. Der entscheidende Unterschied liegt in der Intensität des Trinkens und des Rauschzustandes. Das Trinken bis zum Koma ist noch nicht Teil unserer Kultur und soll es auch nicht werden.

pumbo: Wann haben Sie das letzte Mal zu viel über den Durst getrunken, so dass Sie nächsten Tag sagen, "nie wieder trinke ich..."

Michael Musalek: "Über den Durst" trinkt man immer, da Alkohol kein Durstlöscher ist sondern das Durstzentrum eher anregt, womit auch zu erklären ist, dass manche Menschen große Mengen an Bier zu sich nehmen, equivalente Mengen an Mineralwasser nie trinken könnten. Besonders gefährlich wird Alkohol dort wo er nicht mehr als Genussmittel sondern als Medikament eingesetzt wird.

Er sagt, was Österreich denkt:: Wie würden Sie reagieren wenn Ihr Kind, von einem Kameraden gestützt, betrunken nach Hause transportiert werden würde?

Michael Musalek: Ich würde zuerst schauen wie gefährlich der Betrunkenheitszustand ist, wenn keine körperliche Gefahr unmittelbar besteht würde ich einen Zustand abwarten, wo die Berauschung abgeklungen ist um dann mit ihm die Gründe der Berauschung zu erfahren, vor allem auch die Hintergründe, um dann den zukünftigen Umgang mit dem Alkohol zu besprechen.

Micaela Marquee: Welche Maßnahmen empfehlen Sie gegen Komatrinken?

Michael Musalek: Aufklärung über die Gefährlichkeit hochdosierten Alkoholkonsums, Schaffung eines Problembewusstseins, Aufbau einer Risikokompetenz, Veränderung des heute leider immer noch sehr positiven Images von hochdosierten Alkoholkonsum (auch bei Erwachsenen!).

schick: In Großbritannien sollen alkoholische Getränke künftig mit Warnungen versehen werden. Hinweise auf dem Etikett informieren wieviele "Einheiten" des Getränks pro Tag höchstens konsumiert werden sollten. Ist das eine Lösung?

Michael Musalek: Alleine das kann nicht die Lösung sein; möglicherweise ein Teilschritt eines ganzen Maßnahmenpaketes. Ohne entsprechende Problembewusstseinsmaßnahmen wird ein solches Etikett wirkungslos bleiben (siehe auch Zigarettenetiketten).

Bob Healey: Liegt es nicht primär an den Eltern den Kindern das richtige Umgehen mit Alkohol beizubringen?

Michael Musalek: Nicht nur bei den Eltern, sondern bei uns allen Erwachsenen. Jeder ist Teil dieses Problems.

Walter KURTZ: Würde Ihrer Meinung nach eine Erhöhung der Alkoholsteuer etwas bringen? Vielfach taucht ja der Vorwurf auf, daß alkoholische Getränke billiger sind als nichtalkoholische.

Michael Musalek: Es wäre schön wenn nichtalkoholische Getränke billiger wären als alkoholische Getränke und auch mit einem entsprechend besseren Image versehen wären. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung allerdings alleine sicher nicht ausreichend das Problem zu lösen.

Lucky05: Mein Eindruck ist, dass in Österreich die potentielle Gefahr von Alkoholmissbrauch zu wenig thematisiert wird - über jeden Drogentoten erscheint ein Zeitungsartikel, die vielen Toten durch Alkoholmissbrauch werden in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.

Michael Musalek: Hier sprechen die Zahlen für sich: Wir haben in Österreich rund 330.000 Alkoholkranke, rund 1/4 der männlichen Bevölkerung weist einen problematischen Alkoholkonsum auf; wir haben ungefähr 100.000 -150.000 Medikamentenabhängige und rund 20.000-25.000 Drogenabhängige. Auch wenn es sich dabei vor allem bei den letzteren Zahlen um grobe Schätzungen handelt, wird doch die Größenordnung der Probleme in Österreich damit deutlich.

2b5a6a86-d104-459e-a3fc-15fc4a80bb0c: Je mehr unsere Gesellschaft medienverseucht wird, was in psychischen erkrankungen und vereinsamung resultiert, desto verlockender ist es das mit trinken zu umgehen...ich meine das schreckliche in der u-bahn sitzen und nicht reden und alles was in di

Michael Musalek: In der Tat ist die soziale Isolation, das Fehlen von echten Begegnungen eines der Hauptprobleme unserer Gesellschaft; Mit Alkohol oder anderen Rauschmitteln gelingt es über kurze Zeit sich etwas besser zu fühlen und die Einsamkeit zu spüren. Nach Abklingen der Wirkung ist das Erlebnis des isoliertseins in der Regel noch viel stärker. Eine Gesellschaft, in der nicht Dinge und Sachzwänge im Mittelpunkt stehen sondern wieder der Mensch das Maß aller Dinge wird kann dabei helfen, dass wir nicht Alkohol brauchen um ein freudvolles Leben führen zu können.

srschaus: Sollten nicht einfach die Ausschank von alkoholischen Getränken von Lizenzen abhängig sein um die Kontrolle (zusätzlicher Einsatz von E-Card) besser in den Griff zu bekommen.

Michael Musalek: Es ist von Lizenzen abhängig von der Ausschankseite her, nicht so sehr von der Konsumentenseite (Ausnahme Jugendschutzgesetz). Einen Ausweis für Erwachsene, der Alkohol trinken erlaubt bzw. verbietet, halte ich für weder zielführend noch durchführbar - wer sollte darüber entscheiden wer trinken darf und wer nicht?

Endlich Nichtraucher #1: Wie sollten sich die Medien zum Thema "Komatrinken" verhalten? Könnte es nicht sein, dass die Jugendlichen sich umso stärker ins Koma saufen umso mehr darüber berichtet wird?

Michael Musalek: Über ein Problem zu sprechen und es kritisch zu beleuchten bedeutet nicht es zu schaffen, bzw. es zu verstärken. Viel gefährlicher sind hier Werbemaßnahmen die sich speziell auf Jugendliche richten bzw. Angebote die Rauschtrinken salonfähig und möglich machen.

Userfrage per Mail: Herr Musalek, Sie beschäftigen sich quasi rund um die Uhr mit Suchtfragen und Alkoholproblematik - können Sie überhaupt noch ein entspanntes Glas Bier am Abend genießen?

Michael Musalek: Ich selbst lebe nicht alkoholabstinent, trinke sehr gerne auch ein gutes Glas; es wäre mir aber am liebsten wenn die alkoholischen Getränke bei gleichen Geschmackserlebnis keine alkoholische Wirkung hätten. Alkohol soll auch nicht verteufelt werden, genauso wenig wie bagatellisiert werden. Das was wir brauchen ist ein kritisches Problembewusstsein und Risikokompetenz im Umgang mit Alkohol.

Moderatorin: Wir bitten um Verständnis, dass wir nicht alle Userfragen beantworten konnten und verabschieden uns von Michael Musalek, danke fürs Kommen!

Michael Musalek: Auch ich bedanke mich für die Fragen und für die rege Teilnahme - auch damit konnte sicher ein erweitertes Problembewusstsein geschaffen werden.