Wie stellt man sich einen Spammer vor? Einen jener Unholde, die mit den von ihnen auf Weltreise geschickten Massenmails unsere elektronischen Briefkästen zumüllen, uns darin Penis- und lebensverlängernde Mittel, Wunderdiätpillen, Sex, "einmalige" Finanzdienstleistungen und anderen Plunder andrehen wollen? Die sich in ihren Mails als Jacquelin Santos, Agustin oder Jerome Coffey ausgeben und in der Betreffzeile so tun, als ob sie lediglich auf ein Mail antworten würden?

Spammer X

Der Mann, der an diesem Tag die Treppe in der Fachhochschule Technikum Wien am Höchstädter Platz hinaufgeht, ist etwas bleich um die Nase und stellt sich als Spammer X vor. Der blasse Teint rührt allerdings nicht davon, dass er sich die ganze Nacht mit dem Verfassen von Datenmüll beschäftigt hat, sondern weil rotblonde Menschen das von Natur aus eben sind, und er am Abend davor das erste Mal Bekanntschaft mit österreichischem Wein geschlossen hat.

Wissen

Der junge Mann, gekleidet in luftiges Sommerhemd, Jeans und mit einer Kappe auf dem Kopf, unter der zwei blaue Augen hervorlugen, ist an diesem Tag einer der Vortragenden beim zweiten EU-Spam-Symposium, einer Veranstaltung, die die Problematik der ungewollten E-Mail-Zusendungen aus unterschiedlicher Sicht behandelt. Seit Spammer X seinen "Job" an den Nagel gehängt hat, steht er Antispam-Unternehmen mit seinem Expertenwissen zur Verfügung.

"Ich wollte einfach kein asoziales Element der Gesellschaft mehr sein"

"Was hätten Sie zu mir gesagt, wenn Sie mich vor Jahren auf der Straße getroffen und ich Ihnen erzählt hätte, dass ich meinen Lebensunterhalt mit Spam verdiene?", antwortet er auf die Frage, warum er mit dem Spammen aufgehört habe. "Sicher nichts Freundliches", setzt er nach. Und: "Ich wollte einfach kein asoziales Element der Gesellschaft mehr sein", nennt er den Grund für seinen Ausstieg.

Ich war von der High School geflogen, hatte keinen Job und keine Idee, ...

Mit 17 sei er so allmählich in die Szene hineingekippt, erzählt er im Gespräch mit dem Standard. "Ich war von der High School geflogen, hatte keinen Job und keine Idee, was ich mit meinem Leben anfangen sollte." Das Internet habe ihn von jeher fasziniert, Freunde, die er in diversen Foren kennen lernte, hätten ihm von den verlockenden Verdienstmöglichkeiten erzählt. Der "Rest" habe sich quasi von selbst ergeben. Allerdings gelte auch beim Spammen: ohne Fleiß kein Preis. Zehn bis zwölf Stunden habe er täglich an seiner "Karriere" gearbeitet. "Ohne intensive Forschung ist das Ganze wenig erfolgreich."

Und Erfolg hatte er: In Spitzenzeiten sei er mit PPC-Spam (Porn, Pills and Casinos) auf ein Jahreseinkommen von 280.000 bis 300.000 Dollar gekommen. Dabei habe er nicht einmal zu den Spitzenleuten gehört: "Echt gute Leute bringen es auf eine Million Dollar im Jahr."

Geld allein

Doch Geld allein kann offenbar auch einen Spammer nicht glücklich machen. Mit 22 Jahren stieg Spammer X schließlich aus. Wobei das nicht von heute auf morgen gegangen sei. "Das ist, wie wenn man mit dem Rauchen aufhören will, ein längerer Prozess."

"Inside the Spam Cartel"

Die erste Zeit danach schrieb er ein Buch, in dem er all sein Wissen zusammenfasste: "Inside the Spam Cartel" (2004 erschienen bei Syngress Publishing). Auch wenn er mittlerweile auf Veranstaltungen wie in Wien "aus der Schule plaudert", Anti-Spam-Moralist, der andere zum Aufhören bewegen möchte, ist er keiner geworden. "Man kann solche Leute nicht bekehren", sagt Spammer X, "das ist eine ganz spezieller Menschenschlag." Ausnahmen bestätigen die Regel. Der heute 25-Jährige ist mittlerweile glücklich verheiratet. Noch liege aus seiner Spammerzeit genug Geld auf der hohen Kante, sodass er jetzt seiner neuen Leidenschaft frönen könne. Dem Fischen. (Karin Tzschentke, DER STANDARD Printausgabe, 31. Mai 2007)