Sommerliche Entspannung im Wienerwald anno 1962. Die grüne Lunge der Bundeshauptstadt ist heute, nach wechselvoller Geschichte, immer noch ein beliebtes Ausflugsziel.

Foto: Imagno/Franz Hubmann
Seine Geschichten sind zum Walzer geworden, sie fanden ihren Niederschlag in Literatur und Malerei. Im 19. Jahrhundert vom Abholzen bedroht, in letzter Minute gerettet. Der Wienerwald.

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Städte sind auch nur Menschen. Sie haben einen Magen, beispielsweise Les Halles in Paris (bevor er herausoperiert wurde). Sie haben ein Herz, das besungen wird, und Adern für den Verkehr. Was durch sie hindurchfließt, wird mehr oder weniger geklärt und gefiltert wie in Leber und Niere.

Und sie haben eine Lunge. Die kann mittendrin liegen wie der Central Park in Manhattan, zwei mächtige Flügel bilden wie der Bois de Boulogne und der von Vincennes in Paris. In Wien besteht sie aus größeren und kleineren Filetstückchen – Prater, Stadtpark, Burggarten usw. Die wirkliche grüne Lunge aber ist der Wald, der nur zum kleinsten Teil zur Stadt gehört, aber, typisch, ihren Namen trägt und tausend Quadratkilometer groß ist – das hat kaum eine Metropole in ihrer unmittelbaren Umgebung – zudem quasi mit Straßenbahnanschluss.

Der Wienerwald ist erst seit relativ Kurzem das Erholungsgebiet, um das die Stadt beneidet wird, nämlich seit dem 20. Jahrhundert, und als Schutzgebiet anerkannt und verbrieft überhaupt erst seit zwei Jahrzehnten; 1987 unterzeichneten die Hauptstadt und die anteiligen Bundesländer Niederösterreich und Burgenland die diesbezügliche Deklaration. Seit zwei Jahren ist der Wald zudem ein Biosphärenpark unter dem Schutz der Unesco. Und fast wäre er der siebte Nationalpark des Landes geworden, doch die Pläne sind zugunsten des für Österreich neuartigen Biosphärenparkmodells verworfen worden.

Egal, solange er seine Mischung aus Wald und Wiesen, Hügeln und Ausblicken, Fahrradwegen und Kletterwänden, verlassenen Seitentälern und bunten Ausflugszielen behält. Auf dieser Klaviatur zu spielen, die Abwechslung zu gestalten wie ein Theaterregisseur: Das ist das Ziel von Wienerwald- Profis.

Sie wissen, von welcher Endhaltestelle sie über Wanderwege, Abkürzungen und Hohlpfade zu einem bestimmten kleinen Gasthaus gelangen (nicht vergessen: Mittwoch geschlossen!), um es dann in der Nachmittagssonne quer über die Blumenwiese und den Bach entlang rechtzeitig bis zu einer ganz anderen Endhaltestelle zu schaffen. Und das nächste Mal wählen sie eine Variante, die ihnen empfohlen wurde und für die sich wieder die Karte Maßstab 1:20.000 empfiehlt. Eine Idylle, fast noch wie zu Zeiten, als Waldmüller den Vorfrühling in diesem Wald festhielt. Und wenn die Sondergenehmigungen der zuständigen Behörden nicht zu zahlreich werden, dann werden die Wanderwege und Forststraßen weiterhin frei bleiben von Verbotsschildern, und der Anblick von neopalladianischen Geschmacklosigkeiten in Villenform wird einem erspart bleiben.

Die längste Zeit war die Geschichte des Waldes überwiegend unfriedlich. Über die Zeit der Hunnen und Ostgoten ist wenig bekannt, aber ein Name wie Attila, der um 450 mit seinem Heer in der Nähe vorbeizog, mag Garant sein, dass es eine bewegte Periode war. Auch der lange Streit zwischen Bajuwaren und Awaren wird nicht spurlos an der Grenzregion vorübergegangen sein – das war im achten Jahrhundert, als Alland bereits existierte und eine Kirche hatte.

Keine zweihundert Jahre später bekam ein Markgraf Teile des heutigen Wienerwaldes vom späteren Kaiser des Heiligen Römischen Reiches geschenkt. Die Besitzungen gingen in der k.u.k. Monarchie auf, was letztlich die Überführung riesiger Gebiete in öffentliches Gut ermöglichte. Davor gab es aber nicht nur Pestepidemien und Hungersnöte zu ertragen. Es gingen Kriegsfronten durch den Wald – die Türken um 1530 und nach 1683, die Reformationsund Gegenreformationswirren, das napoleonische Heer Anfang des 19. Jahrhunderts, zuletzt die zurückweichende Front gegen Ende des Zweiten Weltkriegs.

Im 19. Jahrhundert kam es zu zwei gegenläufigen Entwicklungen, die bis heute die Dynamik um den Wald bestimmen. Einerseits wurde das Gebiet für jeden zugänglich und nahm in seiner Bedeutung als Naherholungsziel für die Großstadt zu. Andererseits wollte eben diese Stadt das angrenzende Land nutzen und sich einverleiben. Kaum hatte also Waldmüller seine Staffelei eingepackt, wurden Pläne bekannt, die Wälder zu roden, um damit die habsburgischen Finanzen zu sanieren. Dass es dazu nicht kommen konnte, grenzt angesichts der absolutistischen Machtverhältnisse an ein Wunder. Es ist mit dem Namen Josef Schöffel und seinem Kampf gegen diesen Holzweg verknüpft.

So gibt es den Wienerwald noch. Seine Geschichten sind ein Walzer geworden, der als fernes Echo der Sommerfrischler-Gesellschaft nachklingt. Und ein Melodram, das uns die Brüchigkeit der Ausflugsidylle nahe bringt. Für die allerdings kann der Wald nichts. (Michael Freund)