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Gute Miene zur Gleichung mit zu vielen Unbekannten: Die Gesamtschule sollte an einigen Modellschulen zuerst einmal evaluiert werden.

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Rote Zweifel am Konzept der Gesamtschule: Für den Lehrer und Gewerkschafter Michael Zahradnik droht die Schulreform zum Etikettenschwindel zu geraten. Zu viele Fragen hinsichtlich der Umsetzung sind immer noch offen.

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Es ist erfreulich, dass derzeit in Österreich wieder über die Qualität der Schule diskutiert wird. Die letzten Jahre schien es ja staatlicherseits nur darum zu gehen, Schule möglichst billig zu machen. Dem österreichischen Schulwesen ist durch Sparpakete und Stundenkürzungen grober Schaden zugefügt worden. Da gibt es enormen Reparaturbedarf. Allerdings hat sich die Diskussion mancherorts viel zu schnell auf die Frage "Gesamtschule oder nicht" verengt. Viele, vor allem die wichtigsten Parameter werden dabei vernachlässigt. Und da stets auf Pisa verwiesen wird: Aus den Pisa-Ergebnissen lässt sich zeigen, dass, etwa in Finnland, eine gemeinsame Schule gute Ergebnisse bringen kann. Die abgeschlagenen Letzten bei Pisa zeigen aber ebenso, dass Gesamtschulen keineswegs per se gute Ergebnisse bringen müssen. Daher interessieren mich vor allem die prinzipiellen Unterschiede zwischen den "guten" und den "schlechten" Schulmodellen – und das ist augenscheinlich nicht primär die Frage des gemeinsamen Unterrichts. Als AHS-Lehrer kann ich nicht verstehen, warum meine Schulform quasi abgeschafft werden soll. Meine Kollegen und ich haben in den letzten Jahren, trotz deutlich erschwerter Bedingungen, sehr gute Arbeit geleistet. Nicht nur in den bei Pisa gemessenen Werten, auch in puncto Integration, in puncto Persönlichkeitsbildung, in puncto politischer Bildung. Das ist ein wesentlicher Grund, warum viele Eltern ihre Kinder hier unterrichten lassen wollen. Hier finden sie nämlich neben hochengagierten Lehrkräften, die es selbstverständlich auch an den Pflichtschulen gibt, Lehrerinnen mit einer vollakademischen Fachausbildung vor. So wie in Finnland. Ich würde mir erwarten, dass das eine wesentliche Voraussetzung für eine qualitativ hochwertige gemeinsame Schule wäre. Dazu wird man aber vor allem auch das brauchen, was sich Finnland bei der Umstrukturierung in reichem Maße genommen hat: Zeit und Geld. Wenn laut profil der finnische Bildungsexperte Rainer Domisch die durchschnittliche Anzahl der Kinder in einer finnischen Lerngruppe mit 15 angibt, dann ist mir einsichtig, dass sich so gut arbeiten lässt. Besser als in Klassen mit 25 oder 30 oder mehr SchülerInnen. Für eine solche Reform bin ich jederzeit zu haben. Eine simple Mischung von Kindern und Lehrkräften ohne deutlich verbesserte Rahmenbedingungen kann nichts verbessern, aber vieles kaputtmachen.

Viele Probleme ...

Als AHS-Gewerkschafter stellen sich überhaupt jede Menge Fragen, zu denen es noch keinerlei befriedigende Antworten gibt: Wie soll die Ausbildung der Mittenstufenlehrkräfte beschaffen sein? Wenn, wie die Pflichtschullehrergewerkschaft das stets gefordert hat, alle ein volluniversitäres Studium, also zumindest ein Master/MagisterStudium, absolvieren sollen, am besten natürlich in pädagogischen wie fachdidaktischen Belangen noch besser als heute, dann lässt sich darüber diskutieren.

Das Studium an der PH, die bei ihrer Installierung von der SPÖ genauso als nicht hochwertig genug abgelehnt wurde wie von der Pflichtschullehrergewerkschaft, reicht hier keineswegs. Das würde gegenüber der derzeitigen AHS-Lehrer-Ausbildung einem Downgrading entsprechen. Wer bessere Qualität will, kann dafür nicht sein.

Ungeklärt sind aber auch: Wie werden Lehrer und Schüler "gemischt"? Wer darf an seiner/ihrer Schule bleiben, wer muss gehen? Wie wird sich die Bezahlung gestalten? Wie viel wird in deutlich kleinere Lerngruppen, in Förderunterricht, in die Betreuung sozial origineller Kids, in Deutsch als Zweitsprache, in Legasthenie, in psychologische Betreuung etc. investiert? Alles Voraussetzungen, die eine innere Differenzierung erst möglich machen.

Und, das kann einem Gewerkschafter nicht egal sein: Wie sieht es mit der Bezahlung aus? Wer nimmt meinen Kollegen die Angst, dass die Reform für sie darin bestehen könnte, für weniger Geld schwierigere Kinder zu unterrichten ? Oder aber, weil AHS-Lehrkräfte nur zu etwa 45 Prozent pragmatisiert sind, gegenüber den in einigen Bundesländern zu 80 Prozent pragmatisierten KollegInnen aus der Pflichtschule, die noch dazu billiger sind, überhaupt um ihren Arbeitsplatz bangen zu müssen?

... sind ungeklärt

Die Variante einer „verlängerten Volksschule“ erinnert mich, ich bin Historiker, zuerst einmal an acht Jahre Volksschule im 19. Jahrhundert. Wohl keine Zielvorstellung, obwohl gemeinsame Schule der vielen. Ich wünsche mir dringend eine Verlängerung der Volksschulen „nach vorn“. Ein Vorschuljahr, bei dem man gerade die Fünfjährigen mit Sprach- oder anderen Defiziten auffangen kann – in einem Alter, in dem man für Sprache am empfänglichsten ist. Hier muss zukunftsorientierte Integrationsarbeit ansetzen.

Mir sind zu viele Fragen ungeklärt. Ich hoffe daher, dass es Ministerin Schmied ernst meint mit ihrem Vorhaben, erst an einigen Modellschulen ausprobieren und evaluieren zu lassen. Denn keinesfalls kann eine hochwertige gemeinsame Schule per Husch-pfusch-Aktion geschaffen werden. In 18 Monaten flächendeckend in Wien eine gemeinsame Schule zu deklarieren, ohne klares pädagogisches Konzept – das kann nicht gut gehen. Eltern, Lehrer und Schüler nicht einzubinden, das motiviert nicht, das schreckt ab. (Michael Zahradnik/DER STANDARD-Printausgabe, 2./3. Juni 2007)