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Franz Fischler

Foto: Reuters
Am 5. Juni wird es 60-Jahre her sein, dass US-Außenminister George Marshall seine berühmte Rede an der Harvard Universität gehalten und seine europäische Wiederaufbauhilfe angekündigt hat. Deshalb der Name "Marshall-Plan", deshalb diverse Jubiläumsveranstaltungen. Rund 1,4 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts haben damals die USA über vier Jahre hinweg in Westeuropa investiert - nicht ohne Eigennutz. Es wurde eine Erfolgsstory für beide Seiten. Es war der Beginn des europäischen Wirtschaftswunders und ebenso eine Festigung der wirtschaftlichen Vormachtstellung der USA.

Beim G8-Gipfel nächste Woche in Heiligendamm hätten die Mächtigen der Welt die Chance, es George Marshall gleichzutun und einen neuen - einen globalen - Marshall-Plan einzuleiten, um endlich den Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika, bessere wirtschaftliche Entwicklungschancen zu geben. Die Regierungschefs in Heiligendamm werden es leider wieder nicht tun, denn die USA spielen derzeit lieber den von Waffen strotzenden Marshall, der seine Feinde in Schach hält, statt sich mit einem globalen Marshall-Plan neue Freunde zu schaffen. Angela Merkel will zwar das Thema Afrika auf die G8-Agenda setzen und der "Globalisierung ein menschliches Gesicht" geben. Ich bin sicher, dass die Pfeifkonzerte der Demonstranten lauter sein werden als dieses Signal.

Kann man es den Kritikern und den Entwicklungsländern verübeln, dass sie skeptisch sind? Weder versprochene Handelsverbesserungen, noch die zugesagten finanziellen Mitteln, um diese Länder überhaupt in die Lage zu versetzen, auch nur minimale Standards einzuführen, sind bisher zustande gekommen. Doch da werden aufs Neue die Theoretiker der Liberalisierungsheilslehre auf den (Heiligen-)Damm treten und verkünden: "Wir haben schon jahrzehntelang ohne sichtbaren Erfolg Milliarden in der Entwicklungszusammenarbeit versenkt. Wir müssen den Handel liberalisieren, dann wird der Wohlstand in den Entwicklungsländern steigen." Leider hat sich diese "Heilslehre" längst als falsch erwiesen.

Erstens: Es gibt keine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen Handelsliberalisierung und Wirtschaftswachstum, wie nicht zuletzt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz nachweisen konnte. Keines der erfolgreichen Schwellenländer hat den Schritt aus der Armutsfalle nach den Regeln des freien Marktes geschafft.

Zweitens: Afrika braucht nicht "trade instead of aid", sondern "aid for trade". Selbst wenn unsere Märkte für afrikanische Produkte zur Gänze offen wären: Afrika könnte aufgrund der fehlenden Voraussetzungen, z. B. der fehlenden Transport-, Lager- und Logistikeinrichtungen, diese Möglichkeiten gar nicht nützen. Daher müssen wir zunächst mithelfen, die Voraussetzungen für eine wirtschaftliche Daseinsvorsorge zu schaffen.

Drittens: Das, was bisher an Entwicklungshilfe geleistet wurde, war nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen wirksame Hebel einsetzen, wenn wir tatsächlich etwas bewegen wollen. Aktuell sind die Entwicklungszusammenarbeitsausgaben wieder rückläufig. Vom Uraltversprechen der Industriestaaten, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für den "Süden" aufzuwenden, sind wir meilenweit entfernt - geschweige denn von den 1,4 Prozent, die die USA in den Marshall-Plan investiert haben.

Auch die EU funktioniert nur deshalb, weil die reicheren Länder bereit sind, durch entsprechende Förderungen die strukturschwachen Regionen zu unterstützen - wovon sie umgekehrt durch das Ankurbeln der Wirtschaftsleistung wieder profitieren. Wir brauchen daher dringend einen ähnlichen Mechanismus auf internationaler Ebene - eben einen Global-Marshall-Plan. Übrigens: Die Blaupause dafür gibt es schon - "made in Austria and Germany" und mittlerweile von allen österreichischen Bundesländern unterstützt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 2./3.6.2007)