Akupresseure nennen ihn den K-K9-Punkt, über ihn lassen sich Nerven stimulieren.

Foto: www.anesthesia-analgesia.org
Jeden Tag transportieren Rettungswagen in Wien 400 Personen. Was die wenigsten wissen: Vielen Betroffenen wird schlecht, wenn sie liegend im fensterlosen Abteil über die Straßen geschaukelt werden. Gemeinsam mit Kollegen vom Wiener AKH und vom Roten Kreuz suchte der Anästhesist und Notfallmediziner Alexander Kober nach einer Lösung für dieses Problem. "Dabei mussten wir berücksichtigen, dass Sanitäter im fahrenden Wagen nicht sehr viel tun können", so Kober. Injektionen gegen die Übelkeit waren also keine Option.

Koreanische Akupunktur

Schließlich stieß Kober auf eine Publikation Innsbrucker Wissenschafter. Die Tiroler hatten Patienten nach Operationen mit koreanischer Akupunktur behandelt und damit Symptome wie Übelkeit und Erbrechen deutlich verringert. "Ich bin zwar ein relativ harter Schulmediziner", sagt Kober, "aber das wollten wir auch probieren."

Erste Hürde

Sanitäter dürfen im fahrenden Wagen nicht mit Nadeln hantieren. Also verlegten sich die Mediziner auf die Akupressur - dabei werden die Akupunkturpunkte nicht mit Nadeln gepiekst, sondern mit sanftem Druck stimuliert.

Nächster Schritt

Nun konnten die Ärzte die Methode an nicht allzu schwer verletzten Sanitätswagen-Passagieren testen. Bei 50 Personen wurde der Akupressurpunkt K-K9 stimuliert. K-K9 befindet sich auf den Mittelgliedern beider Ringfinger. Mit einem Klebeband fixierten die Sanitäter einen kleinen Ball auf dem Akupressurpunkt. Bei weiteren 50 Personen klebten sie den Ball auf das Mittelglied der Zeigefinger - eine Stelle, deren Wirkungslosigkeit unter Akupunktur- und Akupressurexperten bekannt ist.

Beide Patientengruppen gaben vor und nach dem Transport ausführlich Auskunft über ihr Befinden. Bei der Auswertung der Daten zeigte sich, dass die alte Technik auch in modernen Rettungswagen wirkt: Das Gefühl der Übelkeit war bei den richtig Behandelten deutlich schwächer ausgeprägt als bei der Kontrollgruppe.

Grandiose Resultate

Auch das subjektive Gefühl von starkem Herzschlag war bei der ersten Gruppe wesentlich schwächer als bei den unbehandelten Patienten. Kein Wunder, dass das allgemeine Wohlbefinden und die Zufriedenheit der richtig behandelten Passagiere besser war als bei der Kontrollgruppe.

Wie das funktioniert?

Schulmediziner gehen davon aus, dass die Akupressur (oder auch Akupunktur) von K-K9 zur Stimulation von Nerven führt. Die leiten das Signal weiter ins Rückenmark, ins Mittelhirn und in den Hypothalamus. Als Reaktion schütten diese Hirnregionen eine ganze Reihe von nützlichen Botenstoffen aus. Endorphine heben die Stimmung, Neurotransmitter wie Serotonin und Epinephrin bremsen hereinströmende Stress-Signale.

Akupressurkugeln im Notarztwagen

"Unsere Methode ist billig und leicht zu erlernen", freut sich Kober. Die Akupressurpunkte sind breit und daher auch bei unruhiger Fahrt gut zu treffen. Das hat sich auch beim Roten Kreuz herumgesprochen - bei den Wiener Fahrzeugen gehört die notwendige Akupressur-Ausrüstung mittlerweile zur Grundausstattung jedes Sanitätswagens.

Das kommt übrigens nicht nur den Patienten, sondern auch dem mitfahrenden Personal zugute. Kober: "Auch mir ist da hinten in den Wagen regelmäßig schlecht geworden, und ich hatte das Gefühl, mich übergeben zu müssen." Jetzt sitzt der Schulmediziner mitunter selbst mit angeschnallten Akupressurkugeln im Notarztwagen. (derk)