Wien - Die heutige Situation Österreichs ist nach Ansicht des Historikers Peter Berger jener der frühen zwanziger Jahre nicht unähnlich. So wie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs der Übergang vom Großmachtstatus zur kleinstaatlichen Existenz das Land dazu zwang, seinen Blick über die Grenzen hinaus zu richten und Politik unter Berücksichtigung internationaler Kräfteverhältnisse zu machen, so zwinge heute die Globalisierung "zur Aufgabe einer vornehmlich nach innen gerichteten politischen Perspektive", schreibt Berger in seinem nun erschienenen Buch "Kurze Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert".

Den Professor am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Wirtschaftsuniversität Wien erinnert an die frühen zwanziger Jahre auch der Nachdruck, mit dem sich Demokratie nach westlichem Muster und freie Marktwirtschaft als universale Leitideen für die Zukunft empfehlen: Im Lauf der Zwischenkriegszeit hätten sich die Österreicher mehrheitlich von diesen Leitideen abgewandt, weil sie meinten, im Lager der Feinde der pluralistischen Gesellschaft mehr Gehör für ihre wirtschaftlichen und politischen Anliegen zu finden. "Dass sich die Dinge seither verändert haben, ist evident. Wie nachhaltig, wird die Zukunft weisen", so Berger im Resümee seines Buches.

Neutralität, Proporz und Sozialpartnerschaft

Der Preis, den Österreich für den Status der "Insel der Seligen" zu zahlen hatte, besteht für den Historiker trotz Amerikanisierung der Kultur und unzweideutiger politischer Westorientierung "in der wachsenden mentalen Distanz der Österreicher zum liberalen Demokratie- und Kapitalismusverständnis". Die tieferen Wurzeln des österreichischen Antiliberalismus ortet Berger weit im 19. Jahrhundert. "In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestärkte der unbestreitbare Erfolg eines durch Neutralität, Proporz und Sozialpartnerschaft charakterisierten österreichischen Sonderwegs diesen Antiliberalismus (zumindest in seinen moderaten Formen)."

Berger analysiert in seinem Band die Identitätskrisen Österreichs im 20. Jahrhundert und die seiner Meinung nach "insgesamt doch sehr erfolgreiche Bewältigung". Dabei spannt er den Bogen von den letzten beiden Jahrzehnten der Habsburgermonarchie ("Eine europäische Anomalie: 'Kakanien'") bis zur schwarz-blauen Koalition. Eingearbeitet hat er dabei u.a. auch jüngste historische Befunde, über eine "fast bis zuletzt ungebrochene Loyalität der Einwohner der 'Donau- und Alpengaue' zu ihren deutschen Herren und auf einen sehr späten Umschwung aus Opportunitätsgründen hin". (APA)