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Kanzler Gusenbauer, Vize Molterer und das Wahlrechtspaket: Nicht überall, wo Demokratie draufsteht, ist auch Demokratie drin.

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"... wird das Wort "vier" jeweils durch das Wort "fünf" ersetzt." - So und nicht anders erfährt der Souverän unserer Demokratie - das sind wir -, dass sich unsere Abgeordneten ihr befristetes Mandat gleich um 25 Prozent, von vier auf fünf Jahre, verlängern wollen und heute auch werden.

Dazu muss man allerdings wissen, dass die Länge der Legislaturperiode des Nationalrates in Art. 27 Abs. 1 B-VG (Bundes-Verfassungsgesetz) geregelt ist. Andernfalls überliest man die Ordnungsnummer 9 der heute zur Abstimmung kommenden Regierungsvorlage mit dem nichts sagenden Titel "Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird" und verheddert sich in den unter den anderen Ordnungsnummern ähnlich kryptisch abgehandelten Details der Herabsetzung des Wahlalters und der Briefwahl.

Keine Alternative?

Diese technischen Hürden gingen ja noch an, gäbe es in den üblichen "erläuternden Bemerkungen" der Regierungsvorlage nachvollziehbare Argumente für diesen gravierenden Eingriff in die bestehenden Strukturen unserer parlamentarischen Demokratie. Aber weit gefehlt.

Mit nicht zu übersehender Schnoddrigkeit werden wir ohne weitere Erklärung mit dem Verweis auf das Koalitionsabkommen (Regierungsprogramm), mit der dürftigen Auflistung "Senkung des Wahlalters" , "Briefwahl", "Erleichterung der Auslandswahl" und eben "Verlängerung der Legislaturperiode" sowie dem Hinweis, dass es dazu keine Alternative gäbe, abgespeist. Detailerläuterung zur Verlängerung der Legislaturperiode gibt es keine.

Dabei hatte man in der Eile (?) des Koalitionsabkommen offenbar auf das passive Wahlalter vergessen. Weshalb dessen Herabsetzung auf das 18. (bisher 19.) Lebensjahr heute in Form eines Initiativantrages der Abgeordneten Elisabeth Grossmann und Silvia Fuhrmann dem Plenum u. a. mit der Begründung vorgelegt wird, dass angesichts der Erreichung der vollen Geschäftsfähigkeit von Jugendlichen mit 18 Jahren "nicht einzusehen sei ..., warum sie nicht auch in den Nationalrat oder das Europäische Parlament gewählt werden können". Obendrein solle dadurch die politische Partizipation junger Menschen gefördert werden. Ob dafür gerade die Art und Weise geeignet ist, in der die Verlängerung der Legislaturperiode durch gezogen wird, sei dahin gestellt.

Ein Rundflug durch die erreichbaren Internetarchive zeigt jedenfalls, soweit ersichtlich, dass die politische Klasse über ihr streng verschwiegenes Ziel der Machtverlängerung hinaus keine plausiblen Argumente für die Mandatserweiterung von 25 Prozent anzubieten weiß, sondern ungeniert nach dem Motto vorgeht: "Die Bürger haben das Wort bei den Wahlen, dazwischen wir." Die Parlamentspräsidentin argumentiert immerhin mit Ordnungssinn. Ihr geht es um die Vereinheitlichung der Legislaturperioden des Nationalrates mit jenen des Europaparlaments und der Landtage. Artigerweise stellt sie dabei die sechsjährige Legislaturperiode des oberösterreichischen Landtages zur Diskussion.

Ein besonderes Gustostückerl liefert der SP-Klubvorsitzende. Er begründet allen Ernstes(?) die Notwendigkeit einer fünfjährigen Legislaturperiode damit, dass wegen des für Wahlen und Regierungsbildung nötigen Zeitaufwandes nur so dem Nationalrat eine Legislaturperiode von tatsächlichen vier Jahren ermöglicht werden könne.

Na wenn das kein Grund ist, die seit Beginn der Bundesverfassung 1920 bestehende vierjährige Legislaturperiode auszuhebeln! Die Österreichische Verfassungsgeschichte lehrt uns übrigens, dass damals die Sozialdemokratie für zwei Jahre und die Altvorderen der ÖVP, die Christlichsozialen, für sechs Jahre waren. Vier Jahre also damals ein historischer Kompromiss?

Volksabstimmung ...

Der gestrige Hinweis zweier Verfassungskollegen, dass die Verlängerung der Legislaturperiode nicht ins Gewicht falle, weil sie in der Regel ohnehin nicht ausgeschöpft werde, ist eigentlich ein Argument, sie beizubehalten.

Ernst zu nehmen ist allerdings ihre Sorge wegen der postalischen Wahlrechtserweiterung. Tatsächlich zeigt die heute zu beschließende Briefwahl und viel mehr noch die vom Innenminister und in einem Entschließungsentwurf des Nationalrates bereits angedachte elektronische Wahl (E-Voting) eine bedenkliche Flucht aus der Geborgenheit der geschützten Intimität der Wahlzelle.

Der Gedanke, dass fingerflinke Teenies die Wahl für die ganze Familie abwickeln, macht einen lachen und schaudern zugleich. Ganz davon abgesehen, dass sich unsere Inlandsgeheimdienste "insgeheim" vermutlich schon jetzt die Finger lecken, angesichts der sich aus E-Voting ergebenden Chancen für Informationsbeschaffung.

... wäre angemessen

Zugegeben, der Umstand, dass dieses Wahlrechtspaket über unser aller Köpfe hinweg beschlossen wird, entspricht dem Wortlaut der Verfassung, nicht aber ihrem Geist. Zur Abhilfe sieht Art. 44 des Bundes-Verfassungsgesetzes im Falle des Beschlusses einer Teiländerungen der Verfassung (um eine solche handelt es sich hier)die Möglichkeit einer Volksabstimmung vor, wenn dies ein Drittel der Abgeordneten - das sind 61 - verlangen.

Die Abgeordneten der Oppositionsparteien verfügen zusammen über 49 Mandate. Es fehlen also nur elf Beherzte aus den Reihen der beiden Regierungsparteien, die sich dem verpflichtet fühlen, was man herkömmlich demokratischen Anstand nennt.

Gibt es sie? (DER STANDARD, Printausgabe, 5.6.2007)