So weltoffen und modern sich das Königshaus gibt, die Gesellschaft Jordaniens ist stockkonservativ - und die Ehre der Familie liegt im "Anstand" ihrer Frauen. Standard -Korrespondentin Astrid Frefel berichtet aus Amman. Sieben bis zwölf Frauen melden sich jeden Tag unter der Nummer 68 95 22 anonym bei der Frauen-Hotline in Amman, der Hauptstadt des Königreichs Jordanien, einem Hort des gesellschaftlichen Konservativismus. Seit 1996 gibt es diese Anlaufstelle der Frauen-Union, wo Juristinnen, Psychologinnen oder Sozialarbeiterinnen Frauen in Not zu helfen versuchen. Oft geht es um Gewalt in der Familie, manchmal sogar um Todesangst - vor einem Ehrenverbrechen. Über die letzten derartigen Fälle berichtete die Jordan Times unter dem Titel "Zwei Frauen bei Ehrenverbrechen getötet": Die 40-jährige Fathieh Mohammed wurde nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis erschossen. Vor drei Jahren war sie von ihrem Schwiegersohn schwanger geworden. Der Vater stellte sich der Polizei und erklärte, er habe seine Tochter getötet, um seine Ehre zu retten. Im zweiten Fall wurde eine 21-Jährige von ihrem Bruder wegen unmoralischen Verhaltens erschossen. Schutz vor Vätern und Brüdern Im Durchschnitt fallen in Jordanien jedes Jahr 25 Frauen einem Ehrenverbrechen zum Opfer. Die Täter, in der Regel männliche Angehörige, kommen in zwei Dritteln aller Fälle mit leichten Gefängnisstrafen von unter einem Jahr davon. Das Strafrecht sieht Strafmilderung vor, wenn ein Verbrechen in einem "Anfall von Wut" begangen wurde. Wird die Frau in flagranti ertappt, geht der Täter gar straffrei aus. Medizinische Untersuchungen der Opfer zeigen, dass über 90 Prozent gar keine sexuellen Kontakte hatten. An diesem Morgen herrscht Hektik in den Büros der Hotline. Eine Studentin, die eben das Gefängnis verlassen hat, wird in die neuen Schutzräume gebracht. In diesen zwei Zimmern, an unbekannter Adresse, finden potenzielle Opfer zum ersten Mal in Jordanien Schutz vor ihren Familienangehörigen. Sozialarbeiterinnen versuchen dann, mit dem Vater eine Art Vertrag auszuhandeln, an den sich alle Beteiligten, auch die Tochter, zu halten haben. "Wenn die Mädchen und Frauen von der Polizei nach Hause gebracht werden, ist das eine Schmach und eine Schande. Wenn wir sie begleiten, haben wir eine Chance, dass sich die Vernunft durchsetzt", sagt Nadia von der Frauen-Union im Gespräch. Bis jetzt sei es immer gut gegangen. Der Staat hat zwar Frauenhäuser versprochen, aber bis heute gibt es nur das Gefängnis als vorbeugenden Unterschlupf. Die Kampagne gegen die Ehrenverbrechen hat in den vergangenen Monaten an Schwung gewonnen. Zu ihrem Symbol ist der Artikel 340 des Strafgesetzbuches geworden, der Straffreiheit oder Strafminderung für Ehrenverbrechen vorsieht. Eine der Promotorinnen für dessen Abschaffung ist die Journalistin Rana Husseini. Sie betont im Gespräch, dass Ehrenverbrechen nicht religiös motiviert werden könnten und unter islamischem Recht mindestens vier Zeugen erforderlich seien, um einen Ehebruch zu bezeugen. Königliche Unterstützung Rana und zehn Kolleginnen haben über 15.000 Unterschriften gegen den diskriminierenden Artikel gesammelt und eine Demonstration organisiert, an deren Spitze sich die beiden Prinzen Ali und Ghazi, Halbbrüder von König Abdullah, gestellt haben. Ihre Kampagne wird auch von dessen Frau, Königin Rania, und Prinzessin Basma, der Schwester des verstorbenen König Hussein, unterstützt, deren Nationale Frauenkommission auch den ersten Anlauf genommen hat, um diesen Artikel zu streichen. Die Volkskammer hat die Gesetzesänderung aber bereits zweimal abgelehnt. Man unterwerfe sich nicht einem westlichen Komplott, um die Werte der jordanischen Gesellschaft auszuhöhlen, befanden die mehrheitlich konservativen Abgeordneten. Nadia von der Frauen-Union ist sich bewusst, dass die Änderung des Gesetzes das Problem nicht löst. Um die verbreitete Einstellung zu ändern, die das Leben der Frau als wenig wertvoll ansieht, betreibt ihre Organisation vor allem auch Aufklärung in den Schulen. Trotz königlicher Unterstützung sind die Aktivistinnen gegen die Ehrenverbrechen nicht überall beliebt. "Ein übertriebenes Geschrei" findet ein ehemaliger Diplomat. "Wir gelten als Nestbeschmutzer, weil wir einen dunklen Fleck ans Licht zerren", sagt Rana Husseini. Aber bis jetzt stehen auch die Vorgesetzten in ihrer Zeitung, der Jordan Times (die ihrerseits dem Könighaus nahe steht), hinter ihr.