Wie macht man SSR - Security Sector Reform - in einem Staat, den es nicht gibt, oder der, wie es ein anderer Teilnehmer bei der Nahost-Konferenz der International Peace Academy in Wien zu Wochenbeginn ausdrückte, schon bevor es ihn gibt, "langsam entschwindet"? Die Rede war vom Sicherheitssektor der palästinensischen Gebiete, und, so der erste Zitierte, ein hoher Polizeibeamter, "für SSR muss auch ein Minimum von Ordnung vorhanden sein".

Er stammt aus Nordirland, wo die Konfliktlösung in die letzte Phase getreten zu sein scheint. Im Nahen Osten hingegen ist das Ziel Konfliktlösung inzwischen zurückgestuft worden: Man hofft, Prozesse schaffen zu können, die eine Konfliktlösung in Gang setzen. In Bezug auf den Irak, so ein britischer Irak-Experte, ist es gar schon ein positives Szenario, wenn der Konflikt territorial eingegrenzt gehalten werden kann.

Es gibt den irakischen Staat - noch gibt es ihn, sagen manche. Er hat auch Institutionen. Aber in denen ist jedoch oft nicht drin, was drauf steht. Das gilt besonders für den Sicherheits- und Justizsektor. Die internationale Gemeinschaft müht sich redlich, Hilfestellung beim Aufbau einer Rechtsstaatlichkeit im Post-Saddam-Irak zu geben - unter anderem die EU mit ihrer "integrierten Mission" namens Eujustlex, die Expertise und Training nicht nur in den einzelnen Sektoren anbietet, sondern auch bei der Vernetzung von Polizei, Staatsanwaltschaft, Justiz, Vollzug und politischen Organen, also des gesamten Strafrechtswesens.

Im Vergleich mit den US-geführten Programmen ist das der EU eher klein, und die Amerikaner warten denn auch mit großen Zahlen auf. 2006 war das "Jahr der Polizei" im Irak: 135.000 Polizisten, 24.400 Gendarmen, 28.360 Grenzpolizisten, ausgebildet und ausgerüstet vom MNSTC-I (Multi-National Security Transition Command). Viele dutzende US-"Transition-Teams" arbeiteten an der Seite der Polizei, um sie zu beraten und zu überwachen, ebenso wurden 100 Berater ins Innenministerium gesteckt, "embedded" ist das Wort.

Robert Perito schreibt in einem Bericht für USIP, das im Irak sehr engagierte US Institute of Peace - dem man Defätismus nicht vorwerfen kann: "So eindrucksvoll diese quantitative Leistung ist, sie maskiert eine beunruhigende Realität, was die Loyalität und die Qualität der irakischen Sicherheitskräfte anbelangt." Im irakischen Innenministerium saß schon vor 2006 das amerikanische CPATT (Civilian Police Advisory Training Team). Sprichwörtlich unter dessen Augen wurde das Innenministerium von den schiitischen Badr-Milizen infiltriert, ja übernommen. Der damalige Innenminister ist jetzt Finanzminister - und kontrolliert das Budget des Innenministeriums.

Unter dem Druck der sich verschlechternden Sicherheitslage haben die USA auch unterstützt, dass ein Teil der Polizei quasi als Hilfstruppe für die Armee bei der Aufstandsbekämpfung fungiert. Der Bürger bleibt ungeschützt vor der Gewalt politischer und krimineller Gangs. Aber der Bürger hat sich auch vor dem Staat selbst zu fürchten, und nicht nur in Form von entgleister Polizei. Die letzten Ausnahmeregelungen - die Verhaftungen ohne Haftbefehl und unbegrenzte U-Haft erlauben - wurden im Rahmen des neuen Sicherheitsplans im Februar erlassen. Zusagen, dass Menschenrechtsstandards bei der Behandlung von Verdächtigen eingehalten werden sollen, gibt es nur mündlich, berichtet die Unami (UN Assistance Mission in Iraq).

Immerhin wurden jedoch Anfang des Jahres die gemeinsamen Inspektionen von Koalitionstruppen und irakischen Behörden in Haftanstalten wieder aufgenommen: Sie waren von irakischer Seite eingestellt worden, als Ende Mai 2006 in einem Untersuchungsgefängnis des Innenministeriums systematische Folter ans Tageslicht gekommen war. Aber auch die Koalitionstruppen spielen ja im irakischen Pandämonium nicht immer nur die Rolle der Beschützer der Guten vor den Bösen, wie man längst weiß.

In diesem Chaos eine ernsthafte Reform des Sicherheits- und Justizsektors anzugehen, erscheint tatsächlich ein verzweifeltes Unterfangen. Die Sache wird noch kompliziert durch das in der Verfassung festgeschriebene radikale föderalistische System: Es droht ein Chaos zwischen nationalen und regionalen Organen. (DER STANDARD, Printausgabe, 6.6.2007)