Hickersberger: Nein, ich wollte den Job. Es hat sich in den letzten eineinhalb Jahren weder an der Schwierigkeit der Aufgabe noch an der Herausforderung etwas geändert. Die Mannschaft macht Fortschritte, aber nicht im gewünschten Ausmaß. Das 0:1 gegen Schottland und das 0:0 gegen Paraguay waren eher Rückschritte. Wir sind nicht in der Lage, den Ball über drei Stationen zu halten, werden kaum torgefährlich. Der Teamgeist ist sicher besser geworden. Gott sei Dank ist uns die Außenseiterrolle geblieben, wir werden sie nicht mehr hergeben. Auch wenn wir unsere Hausaufgaben erfüllen, benötigen wir alles Glück dieser Welt, um bei der EURO zu bestehen.
Standard: Ist die Schweiz weiter als Österreich, beneiden Sie den Kollegen Köbi Kuhn?
Hickersberger: Die Schweiz ist viel weiter. Sie hat eine ausgezeichnete WM hingelegt, hat dort internationale Erfahrung gewonnen. Kuhn hat eine viel größere Auswahl an Kandidaten. Zwei Spieler wurden mit Stuttgart deutscher Meister, damit kann ich nicht dienen. Unsere Personalsituation ist nicht unbedingt rosig.
Standard: Kritiker meinen, dass jeder, der einen Ball stoppen kann, realistische Chancen hat, ins österreichische Team einberufen zu werden?
Hickersberger: So arg ist es nicht. Aber die Auswahl ist gering. Ich halte an der Strategie fest, dass sich eine Mannschaft entwickeln soll. Im Notfall kann man immer noch auf Stars von Gestern zurückgreifen, ich schlage keine Türen zu. Jeder Einzelne muss mehr Eigenverantwortung tragen.
Standard: Der Zustand der Liga ist unerfreulich, das Niveau bescheiden. Da kann man keine tollen Leistungen vom Team erwarten, oder?
Hickersberger: Natürlich hat unser Image gelitten. Die wirtschaftliche Situation ist ein Spiegelbild der sportlichen. Vielleicht setzt ein Umdenken ein. Man soll nicht mehr Geld ausgeben, als man hat. Es gibt endlich strengere Auflagen bei der Lizenzierung. Aber das löst noch nicht die akuten Probleme des Teamchefs.
Standard: Weshalb hat Österreich so wenig Klassefußballer?
Hickersberger: Ideale österreichische Fußballer waren für mich Andreas Herzog und Herbert Prohaska. Die waren Straßenfußballer, sie haben sich die Technik selbst angeeignet. Ihre Fähigkeiten stammten nicht aus irgendwelchen Akademien mit zwei Trainingseinheiten am Tag. Die Straße ist die beste Schule gewesen. Aber diese Tradition ist verschwunden.
Standard: Ist die aktuelle Spielergeneration zu brav, zu angepasst, zu konfliktscheu?
Hickersberger: Es herrscht ein Mangel an Kommunikation. Nicht nur auf dem Platz. Früher spielte man im Trainingslager Karten, heute sitzt jeder alleine vorm Computer. Aber das ist eine allgemein gesellschaftliche Entwicklung.
Standard: Erwartet der Österreicher vom Fußballteam zu viel oder zu wenig?
Hickersberger: Er erwartet eigentlich gar nichts. Ich erwarte von den Fans, dass sie den Spielern mehr Vertrauen entgegenbringen, ihnen einen Vorschuss geben. Ohne die Bereitschaft, die Mannschaft bei der EM zu unterstützen, kann sie nichts Außergewöhliches schaffen. Psychologisch betrachtet ist unsere Situation dankbar. Wir treten nicht an, um den Titel holen zu müssen.
Standard: Fallen Ihnen Gründe ein, weshalb Österreich doch ins Viertelfinale kommt?
Hickersberger: Da muss ich nachdenken. Weil die Mannschaft die einmalige Gelegenheit nützen wird, bei einer EM im eigenen Land über sich hinauszuwachsen. Sie wird eine ganz große Überraschung liefern und eine Partie gewinnen. Wir setzen auf die Prinzipien Hoffnung, Leidenschaft, Fitness und Heimvorteil.
Standard: Was werden Sie am Tag nach der EURO machen?
Hickersberger: Nach der letzten Pressekonferenz gehe ich auf Urlaub. Den brauche ich. (DER STANDARD Printausgabe 06.06.2007)