Bild nicht mehr verfügbar.

Air France rechnet zwischen Paris und Straßburg mit Einbußen von jährlich 500.000 Passagieren.

Foto: AP
Der TGV Ost macht's möglich: Ab Sonntag dauert die Zugfahrt zwischen Paris und Frankfurt nicht einmal mehr vier Stunden. Sie ist billiger als das Flugzeug - und genauso schnell: Dank der Fahrgeschwindigkeit von 320 km/h dauert die Reise auf Schienen nicht mehr länger als durch die Luft, wenn man von Stadtzentrum zu Stadtzentrum rechnet.

Air France veranschlagt allein auf der neu gebauten Strecke des TGV-Ost zwischen Paris und Straßburg eine Einbuße von jährlich 500.000 Passagieren. Schmerzhaft ist für das Flugunternehmen vor allem, dass die Bahn sogar auf internationalen Hauptrouten wie Paris-Frankfurt ein direkter Rivale wird. 1981, als der TGV seine erste Verbindung Paris-Lyon aufnahm, schätzten die Verkehrsexperten, dass ein Hochgeschwindigkeitszug nur innerhalb von 500 Kilometern gegen das Flugzeug ankomme. Jetzt hat sich dieser Umkreis verdoppelt.

Auto abgehängt

Das Auto wird von der Schnellbahn ohnehin abgehängt. "Schauen Sie nur, wie verkniffen die hinter dem Lenkrad sitzen", meinte der Chef der Deutschen Bahn, Hartmut Mehdorn, als er bei der jüngsten Testfahrt von Frankfurt nach Paris auf die zum Teil parallel laufende Autobahn zeigte. Sogar die schnellsten Raser schienen sich vom Abteilfenster aus nur im Schneckentempo fortzubewegen.

Zusammen mit der französischen Bahnchefin Anne-Marie Idrac diskutierte Mehdorn derweil in aller Ruhe über den neuen Bahnverbund "Rail Team", den fünf europäische Bahngesellschaften ab 2. Juli einführen werden. Dieses System, das Airline-Bündnissen wie Star Alliance nachempfunden ist, wird es internationalen Reisende künftig ermöglichen, mit einem einzigen Ticket über die Landesgrenzen hinweg zu reisen und eine Art von "Miles" zu verbuchen. Beteiligt sind Deutschland, Frankreich, die Schweiz, die Niederlande, Belgien und für Österreich die ÖBB.

Der programmierte Erfolg des neuen TGV Ost hat aber auch seinen Preis. Der Bau der TGV-Strecke zwischen Paris und Strassburg übersteigt allein für Frankreich vier Milliarden Euro. Luxemburg, an den zwei Bahnhöfen im mittleren Lothringen interessiert, zahlte sechs Prozent daran, die EU acht Prozent. Deutschland sorgt seinerseits für die Anschlussstrecken im eigenen Land.

Teurer Umbau

Die Deutsche Bahn investierte außerdem 76 Millionen Euro in den Umbau ihres ICE, der in Zukunft von Frankfurt nach Paris verkehren wird, während der französische TGV von der Seine-Metropole nach Stuttgart verkehrt. Dieser gemeinsame Streckenbetrieb durch die deutsche und französische Bahnen ist das eigentliche Novum. Er war alles andere als leicht zu bewerkstelligen.

Die deutschen Hochgeschwindigkeitszüge mussten auf andere Strom- und Sicherungssysteme umrüsten und als Schutz gegen den in Frankreich gebräuchlichen Schotter den ganzen Unterbau schützen. Die Deutschen verlangten ihrerseits stärkere Bremsen am TGV, bevor sie ihm die Fahrt auf den deutschen ICE-Strecken erlaubten.

Geradezu revolutionär ist es, dass deutsche Eisenbahner künftig in französischen Zügen arbeiten und umgekehrt. Sogar im Führerstand. Weil der Notfallknopf im TGV zum Beispiel nicht auf der gleichen Seite wie im ICE liegt, musste nun einer links, ein zweiter rechts angebracht werden. In der ersten Klasse des ICE müssen französische Schaffner auch das Essen servieren, was in Paris einiges Murren auslöste. Im TGV bleibt das Rauchen verboten, im ICE ist es erlaubt - allerdings nur auf deutschem Gebiet.

Teufel im Detail

Auch sonst liegt der Teufel im Detail. Der TGV musste für die Fahrt in Deutschland Trinkwasserqualität in seinen Toiletten-Lavabos einführen; der ICE muss sich dafür wie der TGV mit diversen Notfall-Utensilien ausrüsten, worunter sogar Knallerbsen sind: Die sollen bei einem Unfall auf die Schienen gelegt werden, um nachfolgende Züge zu warnen.

Diese neuartige Kooperation über den Rhein hinweg ist ein guter Test für Europas Bahnunternehmen: Ab 2010 dürfen sie in der ganzen EU grenzüberschreitende Strecken bedienen. Die Binnenstrecken jedes Landes werden ein paar Jahre später für die Konkurrenz aus anderen Staaten geöffnet.

Im Frachtbereich wollen die deutsche und die französische Bahn ab nächstem Jahr zulassen, was sie derzeit im TGV und ICE prüfen: Die Lokführer der Güterzüge sollen ab dann auch über die Grenze hinweg in das jeweils andere Land hinein verkehren dürfen. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8.6.2007)