Alle, nur nicht Hillary. Frau Clinton spaltet Amerika zu sehr in zwei Teile, als dass sie es auf dem Präsidentenstuhl einen könnte. Finden jedenfalls die Republikaner.

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Der legendäre Journalist, der im Duett mit Bob Woodward den Watergate-Skandal aufdröselte, der den Pulitzer-Preis bekam, dessen Name als Synonym für harte Recherchen steht: Von so einem erwartet der Leser nicht einfach ein Buch, sondern ein Werk, nach dessen Lektüre man alles, was bis dato zum selben Thema erschien, auf den Dachboden schleppt, wo es Staub ansetzen kann. Zumal Bernstein auf 554 Seiten nicht über irgendein Thema schreibt, sondern über die Personalfrage aller Personalfragen. Hat Hillary Rodham Clinton das Zeug, Präsidentin der Vereinigten Staaten zu werden?

A Woman in Charge liest sich wie eine Rückschau auf die Neunzigerjahre, als sich die US-Nation noch nicht für Irak, Benzinpreise und Terror interessierte, umso mehr für Monica Lewinsky und die Turbulenzen im Privatleben der Clintons. Kaum etwas von dem, was der Reporter zu Papier bringt, ist wirklich neu. Eigentlich ist alles gesagt. Allein in diesem Frühjahr und Sommer erscheinen in den USA fünf Hillary-Bände, sechs sogar, wenn man das Büchlein mitrechnet, das eine Hillary-Clinton-Voodoo-Magie-Anleitung begleitet. Bernsteins Kunst besteht vielmehr darin, ein feinfühliges Porträt zu entwerfen. Er wird beiden Clintons, Hillary und Bill, wirklich gerecht, statt eine überzeichnete Karikatur zu produzieren. Acht Jahre hat er nach Bruchstücken gesucht, um sein Puzzle zusammenzusetzen. Mit der Protagonistin selbst hat er nicht geredet. 1999 ließ sie ihn noch wissen, sie sei gern zu Gesprächen bereit. Später zog sie die Zusage bedauernd zurück, mit der Begründung, andere Biografen nicht benachteiligen zu wollen.

Wie auch immer, herausgekommen ist das Bild einer Frau, das so gar nicht den gängigen Schablonen entspricht. Von wegen "leftist ideologue", linksgerichtete Ideologin. Dies ist das Etikett, das konservative Rivalen der früheren First Lady gerne ans Revers heften. So lässt sich das Land besser spalten, die Präsidentschaftswahl 2008 vielleicht doch für die Republikaner gewinnen, nach dem Motto: Alle, nur nicht Hillary, die Frau, die Amerika zu sehr in zwei Hälften teilt, als dass sie es auf dem Präsidentenstuhl einigen könnte.

Bernsteins Hillary ist eine resolute, intelligente Strategin, die in einem Punkt sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit George W. Bush hat: Sie sei tief religiös, schreibt der Verfasser. Zudem prinzipienfest, ehrlich in ihren guten Absichten, von Sorge um das Wohl Schwächerer erfüllt. Dass der Watergate-Enthüller gewisse Sympathien für die frühere Anwältin hegt, wird selbst dann deutlich, wenn er Kollegen und Widersacher der 59-Jährigen Unangenehmes auspacken lässt.

Bernstein gibt sich Mühe, den Schmerz zu verstehen, den die Clintons während der Lewinsky-Affäre empfunden haben müssen. Nach seinem Gefühl sprangen die Medien, die Kritiker, die Opposition härter mit dem Paar um, als es jemals zuvor im 20. Jahrhundert einem Präsidenten und seiner Gattin widerfuhr. Sie legten eine höhere Messlatte an, setzten den beiden verbissener zu als all ihren Vorgängern.

Doch auch von Schwächen ist die Rede. Akkurat verzeichnet der Starjournalist Anekdoten, die eine Hillary Clinton zeigen, die vor Ehrgeiz brennt und der oft die nötige Gelassenheit fehlt. Da ist die Reform des Gesundheitssystems, die sie gegen alle Widerstände durchsetzen wollte, für die sie kämpfte wie eine Löwin. Eigentlich war und ist sie überfällig, 1993 wie heute. Denn während die USA die besten, teuersten Kliniken der Welt besitzen, können sich über 40 Millionen Menschen keine Krankenversicherung leisten. Clinton, die sich der Reform mit geradezu messianischem Eifer annahm, drohte Kritikern, sie werde sie "dämonisieren", falls sie nicht einlenken. "Das war’s dann für mich", zitiert Bernstein den Senator Bill Bradley. "Sie sagen Mitgliedern des US-Senats nicht, dass Sie sie dämonisieren werden. Diese Arroganz. Dieser Glaube, dass Leute, die Fragen haben, gleich Feinde sind. Diese Geringschätzung. Diese Scheinheiligkeit."

Dann die Sache mit ihrem Namen. Als sie Bill heiratete, legte sie Wert darauf, sich weiterhin Hillary Rodham zu nennen. Schon als Schulmädchen habe sie das so beschlossen, "lange bevor die Praxis von der aufkeimenden Frauenbewegung unterstützt wurde". Durch die Namenswahl wolle sie Unabhängigkeit demonstrieren, vertraute sie einer Freundin an. Aber sieben Jahre nach der Hochzeit, als Bill um das Amt des Gouverneurs von Arkansas kämpfte, hatte sie es sich anders überlegt. Wobei sie nicht zugeben wollte, dass es eine Kehrtwende war. "Ich bin immer Mrs. Bill Clinton gewesen", betonte sie – ein bisschen zu eifrig darauf bedacht, genau das zu tun, was ihre Karriere und die ihres Mannes beflügeln konnte. Ein Rätsel auch, wieso sie Reportern in Nepal erzählte, ihre Eltern hätten sie nach Edmund Hillary benannt, dem Erstbezwinger des Mount Everest, daher das Doppel-L im Vornamen. Nur: Hillary Clinton wurde 1947 geboren, ein paar Jahre bevor Edmund Hillary den Everest bestieg. Hat sie den Hang, ihre Biografie nachträglich aufzupeppen? Natürlich, ein Werk über "Hillarygirl", wie ihre Helfer die Aspirantin aufs höchste Staatsamt neuerdings nennen, wäre unvollständig, würde es nicht auch den Zustand der Clinton’schen Ehe unter die Lupe nehmen.

Glaubt man Bernstein, dann wollte sich Bill 1989 von Hillary trennen. Er hatte sich in Marilyn Jo Jenkins, eine Angestellte eines Stromkonzerns, verliebt. Er sprach von Scheidung, seine Frau weigerte sich. Einer Freundin erzählte sie, warum sie entschlossen war, ihre Ehe zu retten. "Sie hatten nicht viel Geld, Chelsea (ihre Tochter) war da. Was, wenn sie allein erziehende Mutter wäre? Sie hatte ja nicht mal ein Haus", wird Diane Blair, die Konfidentin, von Bernstein zitiert. Einer zweiten Freundin soll die Betrogene gesagt haben: "Mein Gott, es gibt Schlimmeres als Untreue."

Bald darauf winkte der Aufstieg ins Weiße Haus, Hillary war entschlossen, alles aus dem Weg zu räumen, was ihren Gatten den Sieg kosten konnte. Angeblich setzte sie ein ganzes Team von Privatdetektiven auf Gennifer Flowers an, die Nachtclub-Sängerin, mit der Bill ebenfalls eine Beziehung hatte. Die Spürnasen sollten das, was die Flowers an schlüpfrigen Details zum Besten gab, ad absurdum führen – "so lange, bis sie zerstört ist".

Doch es ist eine weltpolitische Entscheidung, die der Ex-Juristin noch oft vorgehalten werden dürfte, wenn das Wahlduell erst in seine heiße Phase geht. Am 10. Oktober 2002 stimmte sie als Senatorin des Bundesstaates New York für eine Resolution, die Bush ermächtigte, Truppen in Richtung Irak zu beordern. Bernstein hat alles minutiös rekonstruiert, ihren anfänglichen Enthusiasmus ebenso wie die späteren Versuche, denselben zu relativieren. "Ich will sicherstellen, dass sich Saddam Hussein in unserer nationalen Einheit nicht täuscht, dass er begreift, dass wir den Präsidenten unterstützen, wenn er Amerikas Krieg gegen Terroristen und Massenvernichtungswaffen führt", sagte sie im Herbst 2002. "Ich will, dass die Männer und Frauen in unseren Streitkräften wissen, dass unser Land resolut hinter ihnen steht, wenn sie aufgerufen werden, gegen den Irak zu handeln."

Barack Obama, Clintons schärfster Konkurrent in den eigenen Reihen, hatte den Marschbefehl von Anfang an abgelehnt. Immer wieder, wenn auch in eleganter, beiläufiger Pose, kommt er darauf zurück. Die Passagen, die Hillarys Zurückrudern schildern, dürften denn auch diejenigen sein, die der politisch Interessierte am intensivsten studiert. Als sich das irakische Abenteuer zur Katastrophe auswuchs, "änderte sich ihr Tonfall, änderten sich ihre Worte", schreibt Bernstein. 2005 sagte sie, sie habe ja nicht ahnen können, dass Bush einen Krieg anzetteln würde, ohne abzuwarten, zu welchen Ergebnissen die UN-Waffeninspektoren in Bagdad gelangten. 2006 fügte sie hinzu: "Ich habe immer klargestellt, dass das damals keine Abstimmung über einen Präventivkrieg war. Ich dachte, das Votum würde es der Diplomatie erlauben, erfolgreich zu sein." 2007 hat sie auf kritische Fragen folgende Standardantwort parat: "Hätte ich damals gewusst, was ich heute weiß, hätte ich anders gestimmt."(Frank Herrmann, ALBUM/DER STANDARD, Printausgabe, 09./10./06.2007)