Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Thierry Roge
Eine Unbedachtheit dürfte den Sieger der belgischen Parlamentswahlen noch lange verfolgen. In einem Interview mit der französischen Libération ließ sich der Flame Yves Leterme im August 2006 abschätzig über seine wallonischen Landsleute aus: "Anscheinend sind die Französischsprechenden intellektuell nicht imstande, Niederländisch zu lernen." Die angeblich ironisch gemeinte Kritik des damaligen flämischen Premiers löste in Belgien fast eine Staatskrise aus. In Wallonien gelang es Leterme seither trotz aller Beteuerungen nicht, den Ruf des "Flamingants", des flämischen Extremisten, loszuwerden.

Da nützen auch sein französischer Name und seine Zweisprachigkeit nichts. Der 1960 geborene Leterme hatte das Glück, beide Sprachen als kleines Kind zu erlernen. Französisch vom Vater, Niederländisch von der Mutter. An der katholischen Universität Leuven inskribiert Leterme zwei Fächer: Jus aus Respekt vor dem Wunsch seiner Eltern und Politologie wegen seines Faibles für Politik. Als Student schließt er sich der christdemokratischen Jugendorganisation an, 1983 übernimmt er deren Vorsitz. Nach einer kurzen Beamtenkarriere beim belgischen Rechnungshof wird er 1991 Sekretär der flämischen Christdemokraten. Er heuert als Beamter bei der EU an.

Doch sein Hang zur Politik hält ihn auch in Brüssel nicht lange. Letermes politische Karriere verläuft in Biennalsprüngen: 1995 wird er Gemeinderat in seiner Heimatstadt Ieper, 1997 Abgeordneter im flämischen Parlament, 2001 Klubchef, 2003 Parteivorsitzenden.

Letermes Erfolgsgeheimnis ist sein integrer, bisweilen langweiliger Stil. Wie sein niederländischer Amtskollege Jan-Peter Balkenende spricht auch Leterme am liebsten über Werte und Normen als tragende Fundamente der Gesellschaft. Seine gediegen bürgerliche Ausstrahlung mit einem Schuss jugendlichen Charmes haben dem 46-Jährigen am Sonntag 800.000 Vorzugsstimmen eingebracht, ein Ergebnis, das nur der legendäre belgische Staatsmann Leo Tindemans übertroffen hatte.

Bei seiner Wahl zum Christdemokraten-Chef vor vier Jahren versprach Leterme seinen Parteifreunden drei Wahlsiege en suite. 2004 gewinnt er die flämischen Wahlen, zwei Jahre später, bei den landesweiten Gemeinderatswahlen, baut er die Vormachtsstellung seiner Partei weiter aus, um am 10. Juni auch den dritten Teil seines Versprechens mit einem Zugewinn von acht Mandaten einzulösen.

Yves Leterme stehen schwere Wochen der Regierungsverhandlungen bevor. Premierminister aller Belgier wird er nur dann werden können, wenn es ihm gelingt, in der wallonischen Politik Verbündete zu finden. Im frankophonen Süden wird man ihn wohl noch oft an seinen Ausrutscher erinnern. (Barbara Hoheneder/DER STANDARD, Printausgabe, 12.6.2007)