Karin Buchart, (43) ist Ernährungswissenschafterin und gründete vor zwei Jahren das Unternehmen essimpuls.

Buchart hat in Wien Ernährungswissenschaften studiert und 10 Jahre lang die Diät- und Lehrküche der Sanitas Alpenklinik Inzell (Deutschland) geleitet, eine Fachklinik für Allergien.

Sie hat in ihrer Jugend Leistungssport betrieben und war Olympiateilnehmerin in Los Angeles 1984.

Heute lebt sie mit ihrer Familie in Unken in der Nähe von Salzburg.

Foto: Buchart

Nahrungsmittelallergie
von Karin Buchart
Ein Leitfaden für Betroffene

Der Ratgeber und liefert grundlegende Informationen zu den verschiedenen Formen von Nahrungsmittelallergien, ihrer Diagnose und ihren Symptomen.

Studien Verlag, 2003
ISBN-10: 3706519054
ISBN-13: 9783706519052

Cover: Studien Verlag
derStandard.at: Viele leiden unter einer Nahrungsmittelunverträglichkeit, den sogenannten "Intoleranzen". Wieviel Prozent der Bevölkerung sind heute betroffen?

Buchart: Leider gibt es keine genauen Zahlen darüber sondern nur Schätzwerte: 10 bis 20 Prozent der Österreicher dürften an Intoleranzen leiden, wobei die Stärke der Symptome von leicht tolerierbar bis extrem belastend sein kann.

derStandard.at: Steigen die Nahrungsmittelunverträglichkeiten tatsächlich rasant an, oder wird heute einfach mehr ausgetestet?

Buchart: Die Häufigkeit von Unverträglichkeiten hängt auch von den Vorlieben der Lebensmittelindustrie ab. Ein Beispiel dafür ist die Fructosemalabsorption(Fructoseunverträglichkeit).

derStandard.at: Wie genau ist der Zusammenhang zwischen der Lebensmittelindustrie und der Fructoseunverträglichkeit zu sehen?

Buchart: Im Glykämischen Index hat Fructose einen ganz niedrigen Wert. Die Nahrungsmittelindustrie hat daraufhin Fructose statt Traubenzucker eingesetzt. Das heißt Fruchtzucker statt Glucose. Dieser ist heute in sehr vielen Produkten enthalten und klingt ja auch gesund. Das Problem liegt aber in der begrenzen Aufnahmekapazität für Fruchtzucker in unserem Körper. Die Folge sind Durchfall und Blähungen und Fruchtzuckerunverträglichkeiten. Diese sind in den letzten zehn Jahren tatsächlich stark gestiegen.

derStandard.at: Wann besteht der Verdacht auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit?

Buchart: Die häufigsten Symptome zeigen sich auf der Haut, im Mund (orales Allergiesymptom tritt schon einige Minuten nach dem Verzehr auf), im Darm (Blähungen, Durchfall), in den Atemwegen (Rhinitis, Asthma) oder durch Kopfschmerzen. Gefürchtet wird von Allergikern besonders der anaphylaktische Schock, bei dem es bis zum Atemstillstand kommen kann.

derStandard.at: Zeigen Allergietests auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten an?

Der Prick-Test oder der Bluttest zeigen nur Nahrungsmittelallergien an, aber keine Intoleranzen und bei diesen Tests weist man die Sensibilisierung nach. Es gibt aber auch die Möglichkeit, dass eine Sensibilisierung gegen ein Nahrungsmittel vorliegt, diese jedoch nie klinisch aktuell wird (das heißt, dass nie Symptome auftreten).

Ob eine Person mit eine Sensibilisierung gegen Milch jemals Beschwerden bekommt, wenn sie Milch trinkt, ist mit Haut- und Blutttests nicht festzustellen. Intoleranzen werden durch den H2-Atemtest oder durch orale Provokationen nachgewiesen.

derStandard.at: Nahrungsmittelallergie und Nahrungsmittelunverträglichkeit ist nicht das Gleiche. Kann man den Unterschied als Laie anhand der Symptomatik erkennen?

Buchart: Der Laie kann den Unterschied nicht erkennen. Für Betroffene spielt es kaum eine Rolle, weil die Symptome bei beiden Varianten sehr belastend sein können.

derStandard.at: Welche Intoleranzen sind die häufigsten?

Buchart: Die häufigsten Intoleranzen in Österreich sind die Lactoseintoleranz (Milchzuckerunverträglichkeit), die Histaminintoleranz und die Fructosemalabsorption (Fruchtzuckerunverträglichkeit).

derStandard.at: Es gibt viele Spekulationen wodurch Nahrungsmittelunverträglichkeiten entstehen, wie zum Beispiel die steigende Zahl von Umweltgiften oder das Überangebot an Lebensmittel aus aller Welt, genauso aber die übertriebene Reinlichkeit. Kennt man die Ursachen?

Buchart: Nahrungsmittelallergien hat es schon immer gegeben, es ist jedoch möglich, dass zu viele verschiedene Lebensmittel im ersten Lebensjahr die Entstehung begünstigen. Denkbar wäre auch, dass die strenge Hygiene eine Rolle spielt. Beispielsweise essen wir heute kaum noch Pollen aus der Region mit den Lebensmitteln mit, weil sie alle steril verpackt zu uns auf den Tisch kommen.

Möglicherweise fehlt uns dadurch die natürliche Hyposensibilisierung. Interessanterweise gibt es auch deutliche Unterschiede bei verschiedenen Züchtungen von Obst und Gemüse: alte Apfelsorten wie etwa Gravensteiner oder Boskop enthalten viel weniger des Birkenpollen-Kreuzallergens als Granny Smith oder Golden Delicius.

derStandard.at: In den Supermärkten werden bereits lactosefreie Lebensmittel angeboten. Sind diese aus ernährungspysiologischer Sicht empfehlenswert?

Buchart: Lactosefreie Lebensmittel unterscheiden sich von normalen Milchprodukten nur in der Art des Zuckers, enthalten also die gleichen Proteine, Fette, Vitamine und Mineralstoffe und sind daher sehr empfehlenswert.

derStandard.at: Milch wird immer wieder als besonders gesundes, kalziumhältiges Lebensmittel propagiert. Milch wird aber auch als für den menschlichen Organismus "unverträgliches" Lebensmittel bezeichnet. Was ist ihre Meinung?

Buchart: Allergene sind (fast) immer hochwertige Proteine wie zum Beispiel Milch-, Eier-, Fisch- oder Weizeneiweiß. Nur für betroffene Allergiker oder Intolerante kann Milch ein Problem darstellen, für Gesunde ist Milch nach wie vor ein nährstoffreiches, hochwertiges Lebensmittel.

Was die Verstoffwechslung von Milch betrifft, beobachten wir, dass einige Käsesorten und Sauermilchprodukte (Joghurt, Sauermilch, Buttermilch) leichter verdaut werden als Trinkmilch und für die Darmgesundheit günstiger sind.

derStandard.at: Können Nahrungsmittelunverträglichkeiten schon Säuglinge betreffen, oder beginnen diese erst mit einer "Fehlernährung" im Vorschulalter?

Buchart: Es gibt ganz selten angeborene Unverträglichkeiten (wie hereditäre Fructoseintoleranz). Intoleranzen betreffen Kinder erst ab etwa 5 Jahren (Lactoseintoleranz kann in diesem Alter schon auftreten). Diese Intoleranzen können durch "Fehlernährung" begünstigt werden, wenn dadurch die Darmflora geschädigt wird. Allergien haben eine andere Pathogenese.

Nahrungsmittelallergien auf Grundnahrungsmittel wie Milch, Ei oder Weizen können schon Säuglinge betreffen, weil deren Darm noch zu durchlässig ist. Die "Darmschranke" wird dann mit den Jahren dichter und meistens verschwinden diese Allergien bis zum Eintritt ins Volksschulalter.

derStandard.at: Kann man präventiv etwas gegen Nahrungsmittelunverträglichkeiten unternehmen?

Buchart: Intoleranzen hängen eng mit einer gestörten Darmflora zusammen. Ein gesunder Darm ist deshalb die beste Voraussetzung, um alle Lebensmittel gut zu verwerten. Die Empfehlung ist daher, Probiotika (Joghurts, Sauermilch, Sauerkraut) in kleinen Mengen regelmäßig essen.

Prebiotika wie Vollkorngetreide und Zwiebelgewächse sind Nahrung für die gesunden Darmbakterien und deshalb auch besonders wichtig. Möglicherweise wirken Joghurts abends als letzte Mahlzeit gegessen am besten.