Wien – Im Jahr 1904 machte sich der Feuilletonist und Gerichtsreporter Emil Kläger gemeinsam mit dem Amateurfotografen Hermann Drawe auf die Suche nach den "Verstoßenen der Großstadt" und stieg nächtens in "Elendskleidung" in das Wiener Kanalsystem hinab, um das menschenunwürdige Dasein der Obdachlosen und Strotter zu dokumentieren. Vier Jahre lang wurden die dabei entstandenen Bilder in Lichtbildvorträgen in der Urania gezeigt – und vom Publikum regelrecht gestürmt, was eine Diskussion über Sozialvoyeurismus auslöste. Die erstmals rekonstruierte Diaschau ist Mittelpunkt der Ausstellung "Ganz unten. Die Entdeckung des Elends – Wien, Berlin, London, Paris, New York", die bis 28. Oktober im Wien Museum zu sehen ist.
Sozialreportagen über die Underdogs
Kläger und Drawe waren freilich nicht die Ersten, die sich auf die Spuren des Elends in den von rasantem Bevölkerungswachstum geprägten Städten begaben. Max Winter hatte bereits einige Jahre zuvor in der Arbeiter-Zeitung seine Sozialreportagen über die Underdogs Wiens publiziert; in London begann das Interesse der Künstler und aufkommenden Massenmedien an der Armut schon in den 1830er-Jahren, das schnell seine Fortsetzung in anderen Metropolen fand. Dies nimmt das Wien Museum als Anlass für einen Städtevergleich, der die Methoden der Darstellung des Elends und die Motive dahinter in den Vordergrund stellt.
Londoner Armutserie
Gezeigt werden Blätter aus der Londoner Armutserie des Zeichners und Illustrators Gustave Doré genauso wie eine Kartografie des Londoner Elends des Unternehmers Charles Booth, der die Stadtviertel farblich nach sozialen Schichten kennzeichnete, oder Covers von sich am Leiden der Unterschicht ergötzenden Illustrierten. Grafische Zyklen von Käthe Kollwitz und Heinrich Zille dokumentieren das Berliner Wohnungselend, Reportagen von Bruno Frei die Lebensbedingungen von Wiener Juden.
"Gangs of New York"