Neil Shicoffs Charlotte – Vesselina Kasarova.

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Wien – "Werther ist eine sehr romantische Oper. Charlotte macht im Laufe des Werks eine große Entwicklung durch, da steckt auch schauspielerisch viel drinnen", erklärt Vesselina Kasarova ihr Faible für die Rolle und ergänzt: "Im französischen Repertoire kann man schon allein durch die Sprache sehr viel ausdrücken."

Als Werther steht Tenor Neil Shicoff an ihrer Seite. Dass der Bühnenpartner fast neuer Staatsoperndirektor geworden wäre, kommentiert die Bulgarin mit diplomatischem Charme: "Ich sehe Shicoff nur als Mensch und Sänger. Ich bin froh, dass er jetzt mehr Zeit fürs Singen haben wird, obwohl er genauso gut Direktor hätte sein können. Aber das kann er ja immer noch werden."

Den designierten musikalischen Direktor Franz Welser-Möst kennt Kasarova aus Zürich, schätzt an ihm den seriösen Künstler. "Es gibt viele Dirigenten, aber wenige Persönlichkeiten. Welser-Möst kann mit Sängern und dem Orchester gut arbeiten, kann sich Respekt verschaffen." In Zürich wird die zurückhaltende Künstlerin 2008 ihre erste Carmen singen. Eine Rolle, die ihre Fans schon gerne vor Jahren von ihr gehört hätten. Aber Kasarova lässt sich da nicht drängen.

"Wenn ich Carmen vor fünf Jahren gemacht hätte, was würde ich dann in zehn Jahren singen", meint sie mit einem Lächeln und wird dann ernst: "Ich finde, Sänger sollten weniger daran denken: 'Was singe ich heute?', sondern sich eher fragen: 'Was singe ich morgen?' Mir war es wichtig, stimmlich vorsichtig zu sein. Ich bin jetzt fast 42 und singe immer noch Mozart. Ich habe nie affenhaft alles Mögliche gesungen. Für mich sind ernsthafte Künstlerinnen, die eine sehr lange Karriere haben, wie Edita Gruberova, das große Vorbild."

Neben genauer Rollenauswahl und guter Vorbereitung gilt für Kasarova ein einfaches Kriterium für den sorgsamen Umgang mit der Stimme: "Am Ende einer Vorstellung muss ich noch singen können."

Das Liebäugeln mancher Mezzos mit dem Sopranfach kennt die Sängerin nicht. "Das ist ein gefährlicher Wechsel. Ich finde, wir Mezzos haben sehr interessante Rollen, Charakterpartien. Ich glaube nicht, dass ich als Sopran glücklicher wäre. Wenn man natürlich so ehrgeizig ist, dass man den letzten Applaus für sich haben möchte, dann muss man den Wechsel wagen", meint Kasarova nicht ohne Ironie.

Dabei habe ein Mezzosopran durchaus Vorteile. "Ein Mezzo lebt stimmlich länger, weil wir später in die Charakterpartien wie Pique Dame oder Gräfin einsteigen." Diese geschmeidige Leichtigkeit ihrer Stimme erlaubt es Kasarova auch, in nächster Zeit ihrem Interesse an Barockmusik intensiv nachzugehen.

20 Jahre steht Vesselina Kasarova bereits auf der Bühne. Zu maximal 55 Abenden pro Jahr lässt sie sich verpflichten, "ich sage sehr oft nein", CD-Aufnahmen kommen noch hinzu. Ist die Stimme doch einmal müde, braucht sie nicht viel zur Erholung.

"Keine Proben und einfach das Leben genießen." Darauf würden Künstler viel zu oft vergessen. Glück bedeutet für "die" Kasarova, Zeit mit Mann und Sohn Yves Lucien (8) zu verbringen und "endlich zu Hause in Zürich zu schlafen." Die Reisen und die ständige Disziplin gehören zu den anstrengenden Seiten des Berufes. Dennoch sei das Künstlerleben ein Privileg. "Wir erleben gefühlsmäßig Dinge, die 'normal' lebende Menschen nie erleben dürfen."

Für die Zukunft hat der Star ohne medienwirksame Allüren bescheidene Wünsche. "Ich habe sehr viel erreicht. Mein Ziel ist es, mein Niveau zu pflegen und möglichst lange zu halten." Für die Zeit nach der Karriere hat Vesselina Kasarova jedenfalls schon genaue Pläne. "Ich werde all die Städte, in denen ich gesungen haben, richtig kennen lernen. Denn dafür bleibt nie Zeit. Ich kenne überall nur die Opernhäuser." (Petra Haiderer / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 14.6.2007)