Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Es war soeben. Da hat Herr M. sich gemeldet. Per Telefon. Weil er, wie er sagte, helfen wolle. Und auch danken. Mir, so der Anrufer, wolle er assistierend unter die Arme greifen. Und beim Busfahrer mit dem schicken Bärtchen wolle er sich bedanken. Weil er, M., die schönen Abschiedsworte des Fahrers so toll gefunden habe: Ein "Adieu" beim Aussteigen aus einem stinknormalen Wiener-Linien-Bus sei nämlich schon etwas Besonderes.

Erst recht, wenn der Fahrer sich dabei mit einer wildlederbehandschuhten Hand seinen Drei-Musketiere-Bart streicht, und mit der anderen (ebenfalls im edlen Wildlederfingerling) den Seidenschal auf den Schultern zurechtrückt: Solche Typen, meint M., braucht die Stadt.

Huldvolles Winken

Schon beim Einsteigen habe der Herr am Volant höflich gegrüßt und unterwegs mit einer Hand Radfahrern und Fußgängern am Straßenrand oder im Verkehr huldvoll und freundlich zugewunken, Vorrang verschenkt oder – in zwei Fällen – angezeigt, dass er hier nun gerade weiter fahre und sich Mütter mit Kinderwägen also ruhig auf ihren Vorrang am Zebrastreifen verlassen könnten. Außerdem, so M., habe der Musketiere-Fahrer ein goldenes Zigarettenetui mit Kunst- oder Halbedelsteinen neben sich liegen gehabt – und also mit Accessoirs, Mienenspiel und Körpersprache gezeigt, dass man es hier nicht mit einem genervten Berufskraftfahrer, sondern mit einem echten Sir am Volant zu tun habe.

Er, M., habe sich jedenfalls über das stilvolle "Adieu" beim Aussteigen gefreut. Sehr gefreut. Weil es ihm ganz generell gefalle, wenn Menschen, die einander überhaupt nicht kennen, andere im Alltag mit kleinen, unerwarteten und nicht auf einen Nutzen oder Effekt abzielenden Freundlichkeiten überraschen. Das, meint M., täte schließlich keinem weh, könne aber anderen den Tag spürbar verschönern. Auch wenn das jetzt, entschuldigte sich Herr M., ziemlich kitschig klänge.

Lied und Miene

Aufgegangen, verriet der Anrufer, sei ihm das vor ein paar Monaten. Da sei er mit seinen iPod-Stöpseln im Ohr in der U-Bahn gesessen, habe ein Lied gehört – und die Erinnerung an das, was er mit dem Lied verband, dürfte ihm ein Lächeln ins Gesicht gezaubert haben. Ihm gegenüber, so M., sei da ein altes, verhuzzeltes Weiblein gesessen. Eine von jenen Alten, die man gemeinhin übersieht. Aber die alte Frau, erzählt M., habe ihm, als sie aufstand – kurz den Arm auf die Schulter gelegt – und sich bedankt: Weil es schön sei, von jemandem angelächelt zu werden. Das passiere ihr nicht mehr so oft. Und obwohl M. sie wohl nicht wirklich persönlich gemeint hatte, sei das ein feiner Moment gewesen.

Ihm selbst, sagte M., habe es da kurz die Kehle zugeschnürt. Und er habe sich ein bisserl ertappt gefühlt. Aber dann, erzählte M., habe er sich gefragt, wofür er sich eigentlich schäme. Hätte er denn mit eisern-steinerner Grant-Miene in der U-Bahn sitzen sollen – obwohl ihm nach Lächeln zumute war? Und außerdem zähle doch das Resultat: Eine vermutlich einsame alte Frau hat sich gefreut. Und ihm hat das keine Sekunde Mühe bereitet. Punkt.

Irritiert

Seither, sagte M., lächle er öfters wildfremde Menschen an. Einfach so. Ohne jede Absicht. Manche irritiere das. Einige würden Sitz- oder Stehplatz wechseln. Aber etliche, so M., würden doch zurücklächeln. Neulich sei er sogar selbst angelacht worden. Von jemandem, den er Tage zuvor angelächelt hatte. Ob ich das doof und kitschig fände, wollte M. wissen.

Eines, schloss der Anrufer, mache ihm aber doch Kopfzerbrechen: Ihm falle kein Wiener Ausdruck für Fremde-Anlächeln ein. Nur das englische Wörtlein "random acts of kindness" geistere ihm durch den Kopf. Und er, M., habe da eine Befürchtung: Könnte es sein, dass das mit Wien, den Wienern und ihrem sprichwörtlichen Grant zusammenhängt? (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 14.6.2007)