Erfasste zuletzt mit der "Adolf-Kurve" die Stimmung im Dritten Reich und rekonstruierte eine erstaunliche Firmengeschichte: Götz Aly, Erneuerer der NS-Historiografie.

Foto: Standard/Christian Fischer
In seinen zwei jüngsten Büchern geht es um einen verfolgten jüdischen Kondomfabrikanten und die Stimmung im Dritten Reich. Und im nächsten um 1968.

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Wien - "Fromms zieht der Edelmann beim Mädel an." "Wenn's euch packt, nehmt Fromms Act!" In den wilden Zwanzigerjahren waren die Präservative aus der Fabrikation von Julius Fromm bei Berliner Kabarettisten ein beliebtes Thema für (Schüttel-)Reime. Denn wer damals von Kondomen sprach, verwendete den Firmennamen Fromm. Und angeblich war selbst noch im Westberlin der 1960er-Jahre "Frommser" noch ein Begriff.

Die Firma Julius Fromms freilich, der eigentlich Israel From hieß und 1883 in der damals russischen Kleinstadt Konin zur Welt kam, die gab es damals längst nicht mehr. Das 1914 gegründete Unternehmen, das 1923 mit der Massenproduktion von Präservativen anfing, wurde nämlich 1938 von Hermann Göring persönlich arisiert. Der schenkte die florierende Firma seiner Patentante, Elisabeth von Epenstein-Mauternburg, um im Gegenzug von ihr zwei Burgen zu erhalten. Eine davon übrigens die Burg Mauterndorf im Lungau.

Die bei S. Fischer erschienene, großartig erzählte Firmengeschichte Fromms. Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel ist das jüngste Buch des deutschen Zeithistorikers und Ex-Journalisten Götz Aly, das dieser mit Michael Sontheimer verfasste.

Auf den Schicksal des jüdischen Kondomfabrikanten war Aly durch einen zufälligen Aktenfund gestoßen. Eine Lesung in einem Berliner Schwulen-Club bestärkte ihn, der spannenden "Kombination von Nationalsozialismus, Kondom, Sex plus Judentum" gemeinsam mit seinem ehemaligen Journalistenkollegen Michael Sontheimer in Buchform weiter nachzugehen.

Dazu kam noch ein zweites Motiv, so Aly im Gespräch mit dem Standard: Die Geschichte von Firmen wie der von Fromm werden von der Zeitgeschichte vorzugsweise übersehen. Zwar gebe es NS-Firmengeschichten mittlerweile zuhauf, da sich alle großen Firmen von Bertelsmann über Daimer-Benz bis Volkswagen von Unternehmenshistorikern ihre "schwarzen Kapitel" zwecks Weißwaschung und Imagepolitur aufarbeiten ließen. Aber wo die Firma völlig ausgelöscht wurde - wie eben im Fall von Fromm, dessen Firma nach 1945 von der DDR ein zweites Mal enteignet wurde - gibt es auch keine Sponsoren mehr für etwaige Aufarbeitungen.

Der 60-jährige Historiker, der bis 2001 Redakteur bei der Berliner Zeitung war und zuletzt mehrere Gastprofessuren unter anderem in Wien und Frankfurt am Main innehatte (eine Professur in Wien ließ sich leider verhindern), hatte sich in seiner bisherigen Forschungsarbeit mit strukturellen Fragen des NS-Regimes befasst - und dabei als akademischer Außenseiter für mehr innovative Impulse gesorgt als jeder deutschsprachige Zeitgeschichte-Ordinarius.

Nationaler Sozialismus

So hat er mit seinem Opus magnum Hitlers Volksstaat (2005, S. Fischer) den Nationalsozialismus quasi beim Namen genommen und analysiert, wie sehr der einfache Mann von der Straße durch die Arisierungen profitiert hat - nach dem Motto: "Wer von den Vorteilen für die Millionen einfacher Deutscher nicht reden will, der sollte vom Nationalsozialismus und vom Holocaust schweigen." Das Buch hat selbstredend für heftige Debatten gesorgt.

Gleichermaßen innovativ wie viel diskutiert (und stolze 16.000-mal verkauft) ist auch Alys vorletztes Werk, der von ihm herausgegebene Sammelband Volkes Stimme. Skepsis und Führervertrauen im Nationalsozialismus (2006, Fischer TB). Darin wird erstmals anhand von konkreten Indikatoren wie Kirchenaustritten oder dem Sparverhalten erhoben, wie sich die Stimmungslagen der Reichsdeutschen zwischen 1933 und 1945 veränderten.

Besonders aufschlussreich: die "Adolf-Kurve", mit der die schwankende Beliebtheit des Führer-Vornamens nachgezeichnet wird. Alys Zusammenfassung des Buchs: "1938 erreichte Hitlers Beliebtheit ihren Höhepunkt." Auch das - abgesehen von der methodischen Innovation - eine neue Erkenntnis. Denn bislang ging man davon aus, dass die Stimmung nach den militärischen Erfolgen Ende 1939 am besten gewesen sei.

Mit seinem nächsten Buchprojekt wird Aly übrigens erstmals Hitler und den Holocaust hinter sich lassen - und sich dem Jahr 1968 zuwenden, das Alys eigene Biografie nachhaltig prägte. Wobei er um Affinitäten zum NS-Regime nicht herumkommen werde: "Auch 1968 hatte etwas Totalitäres. So wie der Nationalsozialismus auch eine Jugendbewegung war." (Klaus Taschwer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. Juni 2007)