Andreas Mailath-Pokorny an seinem Arbeitsplatz, über den Satz nachdenkend "Theaterreform muss wie Fußball sein" – oder wie war das ...?

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Wien, 14. Juni 2007, Café Engländer. Der Regisseur Robert Quitta trifft zufällig auf Stadtrat Mailath-Pokorny, der, noch schäumend über die unlängst erfolgte Kritik Marie Ringlers ("konstruktiver Arschtritt") und der IG Freie Theaterarbeit bei einem kleinen Gulasch und einem Seiterl seinem Frust unvermutet freien Lauf lässt. Band ab:

Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich halt das nicht mehr aus. Alle kritisieren mich, alle fallen mir in den Rücken. Damit muss jetzt Schluss sein. Die neue ORF-Führung wird mir ein Vorbild sein. Der russische Präsident wird mir ein Vorbild sein. Wie sagte schon Wladimir Putin? Auf Kritik muss gehört werden. Wie sagte schon Wolfgang Lorenz? Feedback ist willkommen. Nach der größten Zurücknahme der größten ORF-Reform aller Zeiten (© Telemax) kommt jetzt die größte Zurücknahme der größten Theaterreform aller Zeiten (GZDGTAZ). Wie sagte schon Bruno Kreisky? Kein Mensch kann mich daran hindern, klüger zu werden. Morgen ich eine Pressekonferenz. Sie erfahren vorab die Details.

Ich hab’s ja gut gemeint. Das müssen Sie mir glauben. Eine Theaterreform war überfällig. Alle meine Vorgänger sind daran gescheitert. Die Pasterk hat gesagt: Verbrenn dir nicht die Finger. Aber ich wollt’s wissen. Ich wollte wirklich was verändern, also hab ich mir gedacht, ich versichere mich des Zuspruchs aller im Gemeinderat vertretenen Parteien, damit nicht nachher wieder einer kommt. Und das ist mir auch gelungen. Wir haben die Studie beschlossen. Wir haben das Leitbild beschlossen. Wir haben die Theaterreform beschlossen. Wir haben die Theaterjury installiert. Wir haben die Kuratoren installiert. Wir haben Vierjahresverträge vergeben. Wir haben ein Koproduktionshaus geschaffen. Durchmarsch. Es war herrlich. Es war super. Und wenn ein Künstler aufgestanden ist, um Bedenken zu erheben, haben wir ihm das Mikrofon weg_genommen oder gesagt: Alle im Gemeinderat vertretenen Parteien haben beschlossen, dass...

Da hat keiner eine Chance gehabt. Wir haben das Ding einfach durchgezogen. Aber wenn ich es jetzt so recht bedenke (wird leicht melancholisch) – Herr Ober, noch ein Seiterl – ich habe Fehler gemacht. Ich wurde falsch beraten. Ich hätte es wissen müssen. Ein Konzept ist ja gut, aber die Umsetzung ...

Nach der Reform ...

Zuerst die falschen Leute für die Studie ausgewählt Praxisferne Menschen. Ein deutscher Journalist mit dem Demutsgen. Eine Tanzorganisatorin, die immer auf der anderen Seite stand. Und ein Chefdramaturg einer großen Theaterinstitution. Was sollen die vom freien Theater verstehen? Und wenn ich mir die Studie heute durchles, merkt man das auch sofort: allgemeine Einschätzungen, diffuse _Diagnosen, dafür aber umso apodiktischere Behauptungen. Alle Politiker sind Trotteln, alle Beamte sind Trotteln, alle Künstler sind Trotteln, nur Kuratoren besäßen "die Luzidität, um richtig entscheiden zu können was eine Stadt braucht". Wenn ich mir das heute so anschau, weiß ich nicht, ob ich weinen oder lachen soll.

Luziditätstest für Kuratoren. Wie soll das gehen? Und wer sollte den bestehen? (lacht) Und dann die Theaterjury. Eine gute Idee, aber wie soll das funktionieren? Lauter gute Leute, aber das sind doch keine Übermenschen, keine Götter. Wie sollen die denn, erst ein paar Monate vor der Entscheidung bestellt, zu wenig oder nix gesehen habend, mit kaum je_mandem geredet habend, über 150 Konzepte entscheiden? Ist doch menschenunmöglich, ist doch unseriös und unprofessionell. Kann man den Künstlern doch nicht zumuten.

Wenn ich dran denke, dass in zwei Jahren die nächste Jury ansteht, wird mir jetzt schon schlecht. Wie soll denn jemand die Entscheidungen der letzten Jury evaluieren, wenn er/sie jahrelang das Geschehen nicht verfolgt hat? Wie sollen die armen Menschen 150 Konzepte ohne Anschauung/Anhörung in drei oder vier Sitzungen beurteilen?

Und dann die Kuratoren. Eine gute Idee, aber ...Ich glaube, wir haben da unsere Aufsichtspflicht verletzt. Jeder Soldat bekommt Rules of Engagement, jeder Bankbeamte bekommt Richtlinien, jeder Callcenter-Mitarbeiter einen Supervisor, aber wir lassen die Kuratoren in dem Irrglauben, sie könnten tun und lassen, was sie wollen. Wir wollten mehr Demokratie und Transparenz, aber das Outsourcen von Willkürherrschaft hat ja wohl nichts mit Demokratie zu tun, und wie kann man von Transparenz reden, wenn weder das Abstimmungsverhalten der Kuratoren bekannt ist, noch den Künstlern eine Begründung für eine Nichtempfehlung übermittelt wird.

Mir wurde berichtet, dass die Theaterleute angeherrscht, zusammengeschrien und gemobbt werden, und da ich selber ein Mobbingopfer bin, werde ich das natürlich von Stund an abstellen. Und da ich selbst Jurist bin, wird es mir ein Anliegen sein, ab sofort die Theaterförderung der MA 7 mit der allgemeinen österreichischen Rechtsordnung und den europäischen Menschenrechten in Einklang zu bringen. Ich kann es nicht mehr mitansehen, wie sich in meiner Einflusssphäre weißrussische Verhältnisse auftun, wie sozusagen eine Reichstheaterkammer darüber zu entscheiden sich anmaßt, was "kunstnotwendig" ist und was eine Stadt an Kunst braucht.

Ich kann es als Monopolverwalter nicht verantworten, dass erfolgreichen Theatermachern, die ihr künstlerisches Leben in den Dienst der Stadt Wien gestellt haben, ohne Begründung, ohne Kündigungsfrist, ohne Abfertigung mit einem formlosen Schreiben die Existenz abgedreht wird. Ich werde es nicht zulassen, dass Künstler schlechter behandelt werden als ein des Taschendiebstahls Verdächtiger. Ich werde es mir angelegen sein lassen, dass kein Künstler in Hinkunft schlechter behandelt wird als jemand X-Beliebiger aus dem Mitarbeiterstab der MA 7, dem man eine solche Vorgangsweise nicht im Entferntesten zumuten könnte. Öffentlichkeit, Beweiswürdigung, Anhörung, schriftliche Urteilsbegründung, Instanzenweg, Gewaltentrennung – worauf jeder Bürger dieses Landes Anspruch hat, sollte auch auch für die verdienten Künstler unserer Stadt gelten.

... ist vor der Reform?

Und wenn mir jetzt auch noch die Marie Ringler abspringt, der Wolf hat sich ja schon vertschüsst, ist mir das auch wurscht. Sie versteht einfach nicht, dass man frei nach Margaret Thatcher die Dosis nicht erhöhen darf, wenn das Medikament falsch ist. Ich habe das verstanden – ich sehe ein – ich kehre um, ich werde die Theaterreform von Grund auf reformieren, aus Liebe zu dieser Stadt, der Zuschauer ist König. Glauben Sie mir, des mach i.

Mit diesen Worten begehrte der Stadtrat zu zahlen und entschwand in der Dunkelheit. Herr Quitta aber fragte sich für einen kurzen Moment, ob er dem wahren Stadtrat begegnet oder einem Doppelgänger aufgesessen war. Die morgige Pressekonferenz wird Klarheit schaffen ... (DER STANDARD, Printausgabe, 15.6.2007)