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Unter dem Vorsitz der deutschen Bundeskanzlerin Merkel müssen die 27 EU-Staaten am 21. und 22. Juni 2007 in Brüssel versuchen, die Verfassungskrise zu beenden. Kaczynski hat ein Veto bereits angedroht, wenn seinem Land Polen nicht mehr Einfluss bei Entscheidungen zugestanden wird.

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Brüssel - Die EU-Verfassung muss künftig ohne Glanz und Gloria auskommen. Um den Eindruck zu vermeiden, dass durch die darin enthaltene Europa-Symbolik sowie durch den Titel "Verfassung" eine Art europäischer Staatsgründungsakt stattfindet, haben sich die Regierungen bereits mehr oder weniger darauf verständigt, auf die Erwähnung der Europa-Hymne und der Europa-Flagge in dem Text zu verzichten und dem neuen Vertrag einen weniger pompösen Namen zu geben. Im Folgenden ein Überblick, was von dem Verfassungsvertrag erhalten bleiben soll und was nicht.

Name und Symbole: Der Begriff "Verfassung" soll durch einen anderen ersetzt werde, so könnte das Vertragswerk etwa "Grundvertrag" heißen. Außenministerin Ursula Plassnik hatte den Begriff "Lissabonner Vertrag" ins Spiel gebracht und damit die Hoffnung verknüpft, dass die Verhandlungen noch unter portugiesischer EU-Präsidentschaft im zweiten Halbjahr abgeschlossen werden. Der Text soll nur mehr als "klassisches Vertragsveränderungsverfahren" in den bestehenden EU-Rechtsbestand integriert werden, die Verfassung hätte die bisherigen Verträge ersetzt. Nach Angaben von Diplomaten soll der neue Text "kurz und hässlich" und damit weniger pompös als die Verfassung sein. Die Europahymne "Ode an die Freude" von Beethovens neunter Symphonie und die Europa-Flagge mit einem Kreis von zwölf goldenen Sternen auf blauem Hintergrund sollen aus dem Text gestrichen werden. Die EU soll eine eigene Rechtspersönlichkeit erhalten.

EU-Kommission: Derzeit stellen 27 Länder jeweils 27 Kommissare in der EU-Kommission, die für Gesetzesinitiativen in der EU zuständig ist und über die Einhaltung der EU-Verträge wacht. Nach der EU-Verfassung sollen ab 2014 nur noch Zweidrittel der Mitgliedsländer Kommissare stellen. Um eine gleiche Vertretung aller zu garantieren würde die Vertretung der EU-Staaten nach einem fixen Rotationssystem geändert, so sollen Staaten für zwei Amtsperioden einen Kommissar entsenden und dann für fünf Jahre auf einen Kommissar verzichten. Diese in der Verfassung enthaltene Bestimmung gilt als unstrittig.

EU-Ratspräsident: Er soll künftig der EU ein Gesicht geben. Derzeit wechselt die EU-Ratspräsidentschaft alle sechs Monate, bei Gipfeltreffen mit Drittstaaten ist der Regierungs- oder Staatschef des Vorsitzlandes gleichzeitig EU-Ratspräsident. Die halbjährlich rotierenden Vorsitze sollen zwar für die Fachministerräte erhalten bleiben. Ein fixer EU-Ratspräsident soll aber künftig von den Staats- und Regierungschefs für zweieinhalb Jahre gewählt werden, eine weitere Amtszeit wäre möglich.

EU-Außenminister: Derzeit sind für die Außenpolitik der EU der Außenkommissar - derzeit die Österreicherin Benita Ferrero-Waldner - und der EU-Außenbeauftragte des Rates - derzeit Javier Solana - zuständig. Die Verfassung sieht vor, dass die beiden Posten, die immer wieder zu Kompetenzstreitigkeiten geführt haben, zu einem zusammengefasst werden. Ein "EU-Außenminister" soll in Personalunion Vorsitzender der EU-Außenministerräte sowie Vizepräsident der Kommission sein. Großbritannien drängt auf einen weniger spektakulären Namen für den neuen Posten.

EU-Grundrechtscharta: Großbritannien ist gegen eine Rechtsverbindlichkeit der Charta, die den EU-Bürgern eine Reihe von einklagbaren Rechten wie etwa das Recht auf Leben, den Schutz personenbezogener Daten, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung ausdrücklich garantieren würde. Die Grundrechtecharta soll die Europäische Menschenrechtskonvention ergänzen. Um einen Kompromiss mit London zu ermöglichen, könnte die Charta nicht mehr ausdrücklich in einem neuen EU-Vertrag genannt werden. Die Befürworter der Verfassung wollen aber sicherstellen, dass die Charta rechtsverbindlich wird, da sie als "Herzstück" der Verfassung gilt und auch als den Bürgern als Errungenschaft "verkauft" werden soll.

Abstimmungsmodus im EU-Ministerrat: Die Verfassung sieht vor dass Beschlüsse, die nicht einstimmig gefällt werden müssen, mit doppelter Mehrheit fallen. Demnach müssen mindestens 55 Prozent der Staaten zustimmen, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren. Polen, das nach dem derzeit geltenden Modus des Nizza-Vertrags, im Vergleich zu den bevölkerungsstärkeren Ländern wie Deutschland und Frankreich bevorzugt ist, würde durch die Verfassungsbestimmung an Einfluss verlieren. Daher will Polen eine neue Formel durchsetzen, die sich an der Quadratwurzel der Bevölkerungszahl orientiert und dem Land mehr Stimmengewicht verschaffen würde. Politisch ist Warschau mit der Forderung isoliert, da die anderen Staaten den mühsam erzielten Verfassungskompromiss nicht wieder aufschüren wollen.

Justiz- und Innenpolitik: Die Verfassung sieht den Übergang zu Mehrheitsentscheidungen und ein Mitentscheidungsrecht des Europaparlaments bei allen Entscheidungen der EU-Justiz- und Innenmister zur justiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit vor. Großbritannien stellt dies in Frage und will am nationalen Vetorecht festhalten.

Kompetenzabgrenzung: Die in der Verfassung klar geregelte Abgrenzung zwischen EU- und nationalen Kompetenzen geht Ländern wie den Niederlanden und Tschechien nicht weit genug. Die Niederlande drängen dem Vernehmen nach auf eine noch klarer geregelte Subsidiaritätsprüfung durch die nationalen Parlamente sowie auf einen besseren Schutz der Daseinsvorsorge.

EU-Erweiterung: Die bereits geltenden "Kopenhagener Kriterien" bzw. die Aufnahmefähigkeit der EU sollen nach dem Wunsch der niederländischen Regierung extra in dem neuen Vertrag verankert werden. Ander Länder lehnen dies als zu einschränkend ab, da Entscheidungen über neue Beitritte meist auf höchster politischer Ebene fallen. (APA)