Die Kameras der Section Control im Kaisermühlentunnel sind derzeit arbeitslos. Der Grund: Der Verfassungsgerichtshof hat entschieden, dass die Anlage nicht verfassungskonform ist und abgeschaltet werden muss.

Foto: Regine Hendrich
Wien - Es sei der Versuch gewesen, "Überwachungsmaßnahmen in eine rechtsstaatliche Kontur zu bringen", meint der Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), Karl Korinek, eine halbe Stunde nachdem das Höchstgericht im Haus am Wiener Judenplatz Freitagvormittag seine etwas überraschende Entscheidungen bekannt gemacht hat.

Die erste: Die Einrichtung einer Section Control und damit verbunden die Erfassung aller vorbeikommenden Autos betrifft zwar das Grundrecht auf Datenschutz, ist grundsätzlich aber nicht verfassungswidrig. Allerdings nur, wenn die Gesetze auch verfassungskonform angewendet werden. Was nach Binsenweisheit klingt, hat bedeutende Auswirkungen, wie die zweite Entscheidung zeigt: Obwohl theoretisch erlaubt, ist die Tempoüberwachung im Wiener Kaisermühlentunnel praktisch dennoch illegal und unverzüglich abzuschalten.

Verordnung nötig

Die Begründung: Es gibt keine Verordnung, in der steht, warum eigentlich in dem Bauwerk auf der Donauuferautobahn A 22 die Geschwindigkeit so überwacht werden muss. Eine solche Verordnung des Verkehrsministers sei aber nötig. Damit man sie im Zweifelsfall anfechten kann. Weitere Bedingungen für die Verfassungsmäßigkeit: Daten von Autofahrern, die nicht zu schnell sind, müssen sofort gelöscht werden. Und die Section Control muss klar erkennbar sein.

Der Akademiker, der die Causa vor das Höchstgericht gebracht hat und nun keine Strafe zahlen muss, wird sich aber nur kurz über das richterlich verordnete Aus freuen können. Laut Peter Goldgruber von der Wiener Polizei ist die Überwachung im Kaisermühlentunnel zwar mittlerweile eingestellt. Doch Verkehrsminister Werner Faymann (SP) ließ über seinen Pressesprecher ausrichten, in rund vier Wochen werde die neue Verordnung, die den Bedingungen des VfGH entspricht, fertig sein.

Videoüberwachung

Doch das Urteil wird wohl nicht auf die umfassende Tempokontrolle beschränkt bleiben. Denn auch bei der geplanten Vorratsdatenspeicherung tritt das Problem auf, dass persönliche Daten von allen erfasst und gespeichert werden, um Verdächtige herausfiltern zu können. Ebenso bei polizeilicher Videoüberwachung öffentlicher Plätze. VfGH-Präsident Korinek wollte nach der Urteilsbekanntgabe keine Präjudizierung treffen, da derzeit kein Anlassfall vorliege. Doch die Tatsache, dass für die Section Control künftig eine ausführliche Begründung der potentiellen Unfallgefahr auf der Strecke notwendig ist, lässt die von Korinek angesprochenen Konturen erahnen - ziellose Kontrolle wird erschwert.

Bei der Wiener Polizei war man sich laut Verwaltungspolizeichef Peter Goldgruber übrigens stets bewusst, das keine Verordnung existiert. "Wir waren allerdings überzeugt davon, dass so wie bei Radarboxen keine nötig ist", erläutert der Jurist. Korineks Einwand, bei einer Radarbox oder mobilen Kontrolle würde nur im Verdachtsfall geblitzt, kann er jedoch nachvollziehen. Für den Großteil der 141.631 Menschen, die seit der Section Control-Eröffnung im Frühjahr 2003 im Kaisermühlentunnel gezahlt haben, kommt diese Einsicht aber zu spät (siehe "Wissen" unten). (Michael Möseneder, DER STANDARD-Printausgabe, 16./17.6.2007)