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Allzeit bereit: Wäre die SPD weniger „neo-liberal“, würde Gysi koalieren.

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Wolle die SPD die Gesellschaft verändern, dann müsse sie mit der Linken koalieren, sagt deren Fraktionschef im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi. Er erklärt Birgit Baumann auch, warum die neue Linkspartei, die sich heute in Berlin gründet, ältere Herren an der Spitze braucht.

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STANDARD: Ab Samstag führen Lothar Bisky und Oskar Lafontaine die neue Linkspartei. Das soll ein Aufbruchssignal sein?

Gysi: Wir drei älteren Herren sind doch die eigentliche Anziehungskraft für die Jugend, oder? Da mache ich mir gar keine Sorgen. Wir haben jetzt außerdem eine Übergangszeit, in der wir zwei Parteien vereinigen. Eine Partei muss biologisch und chemisch entstehen, das ist nicht nur leicht. Hätten wir jetzt an die nächste Generation übergeben, wären die Verantwortlichen nach drei Jahren verbraucht.

STANDARD: Nicht weniger als zwei Jahre lang hat der Prozess der Parteibildung gedauert. War das nicht viel zu viel Selbstbeschäftigung?

Gysi: Ich wusste, dass es schwierig wird, aber ich habe immer daran geglaubt – auch wenn wir uns zu viel Zeit gelassen haben. Das Problem war zu viel Selbstbeschäftigung: Programmentwurf, Statuten et cetera. Die eigentliche politische Arbeit wurde in den vergangenen zwei Jahren ja durch die Fraktion erledigt. Aber nun werden wir Deutschland europäisch normalisieren. Es wird wie in Spanien, Frankreich oder Italien eine akzeptierte Kraft links der Sozialdemokratie geben.

STANDARD: Wird die Linkspartei als Korrektiv überhaupt noch gebraucht? Die Arbeitslosenzahlen in Deutschland sind so niedrig wie seit fünf Jahren nicht. Offenbar wirkt Gerhard Schröders Agenda 2010.

Gysi: Schröder hat ungeheure Steuergeschenke an die Kapitalgesellschaften und die Vermögenden und gleichzeitig bei Kranken, Arbeitslosen und Rentnern beachtliche Schnitte gemacht. Dass sich die Arbeitslosigkeit abbaut, ist ja zu begrüßen. Aber die Hälfte der neuen Jobs sind Mini- oder Midi-Jobs oder Leiharbeitsverhältnisse. Da entsteht eine moderne Art der Sklaverei, und die Menschen haben das Gefühl, dass der Aufschwung an ihnen vorbeigeht.

STANDARD: Welche Chancen sehen Sie langfristig in Westdeutschland, wo die Linkspartei noch kaum verankert ist?

Gysi: In den alten Ländern sind wir in den Kommunalparlamenten schon einigermaßen vertreten, aber wir müssen in die Landtage. Das ist für die Zukunft unserer Partei von großer Bedeutung. Und wir brauchen mehr Mitglieder, da kriegen wir jetzt Normalität. Meine Partei, die PDS, hat sich Mitgliederwerbung kaum getraut, weil die in der SED üblich war. Das ändert sich jetzt.

STANDARD: Will die Linke im Bund ewig in Opposition sein?

Gysi: Wer zu Wahlen antritt, muss im Kern immer bereit sein, die eine oder andere Verantwortung zu übernehmen. Aber auf Bundesebene ist das sehr viel schwieriger. Schauen Sie sich den Zustand der Sozialdemokraten an. Die sind ja durch und durch neoliberal geworden, zum Beispiel mit ihrer Erhöhung des Renteneintrittalters auf 67 Jahre. Hartz IV ist auch nicht unsere Politik. Wenn natürlich die SPD wieder sozialdemokratisch würde, dann sähe die Situation anders aus.

STANDARD: Hält die große Koalition bis 2009 durch?

Gysi: Ich denke schon. Die SPD ist zum Leiden geeignet. Außerdem sind ihre Umfragewerte so schlecht, dass sie Neuwahlen fürchtet. Und der SPD fehlt auch der Mut, auf uns zuzugehen. Es ist gar nicht zu erwarten, dass sie sagt: Wir wollen die Gesellschaft verändern und treten dafür jetzt mal an die Linkspartei heran.

STANDARD: Für eine Koalition aus SPD und Linkspartei wäre wohl auch die Personalie Lafontaine hinderlich.

Gysi: Wenn es eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit wäre, würde man es einfach machen. Oskar wird nur als Ausrede benutzt. (DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.6.2007)