Als Autorin und Person im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Ingeborg Bachmann, hier 1964 in der Schweiz. Die Fotos stammen aus dem empfehlenswerten und schönen Band "Ingeborg Bachmann. Bilder aus ihrem Leben" (Piper Verlag).

Fotos: Piper Verlag
Das Erste, was mir zur Bachmann einfällt, ist das, was ich auch am längsten von ihr kenne – die Bilder einer rauchenden Frau, die eindeutig ganz woanders ist – in Rom, in Paris, in der Ferne. Dieses Bild geht ihr gewissermaßen bis heute voraus. Und bis heute stellt sich mir dabei dasselbe Erstaunen ein – auch eine Österreicherin kann so weltläufig sein! Auch eine Kärntnerin kann das Bild einer wirklichen Intellektuellen produzieren. Dazu gehört es auch, sie mit den großen Namen ihrer Zeit an einem Tisch sitzen zu sehen – nicht als Groupie, sondern auf selber Augenhöhe. Nie wirkt sie deplatziert an diesen Orten, die garantiert nicht hier waren. Ihr haftet so gar nichts Provinzielles an. Damit wurde sie von Anfang an zu einem Versprechen, zu einer Verheißung: Man kann da rauskommen. Man kann die Enge der Herkunft ganz hinter sich lassen, auch wenn "der Weg aus dem Tal (...) immer der längste bleiben" wird.

Ingeborg Bachmann hat in diesem damaligen Nachkriegsösterreich das Bild der mondänen Intellektuellen, die Vorstellung der Urbanität als Raum des Geistigen wiederhergestellt. Das war ein Anschluss eigener Art. Der Anschluss an eine Welt, die es nicht mehr wirklich gab – jene der Hochkultur. Das ist vielleicht auch der Punkt, der einem die schönen Bilder wieder fremd macht. Während in den 60er-Jahren die Jugendkultur den Bruch des Weltkriegs auf ganz eigene, neue Weise "aufgehoben" hat, während sich eine weltweite Entprovinzialisierung (keine räumliche, sondern eine zeitliche gegen die Generation der Eltern) als Subkultur formiert hat, hat Ingeborg Bachmann die Hochkultur fortgesetzt – auch als Lebensform. Allein die Lokale, die sie noch 1971 in ihrem Roman Malina auflistet: das Sacher, Die drei Husaren, das Café Landtmann, die Loos Bar. Eine Künstlergeneration später sitzt schon in ganz anderen Lokalen. Ebenso der Satz: "Die Leute brauchen heute (...) ein wenig Schock, ein wenig (...) Beatnikgeheul." Beatnikgeheul – das Wort schreibt sie noch 1959. Und doch klingen in den Erzählungen aus dieser Zeit auch Motive an – das ziellose Herumfahren, das proklamierte Nichtstun zum Zweck der Sinnsuche – Motive, die die Jugendkultur zu ihren Leitmotiven machen wird.

Die Schnittmenge dieser inkompatiblen Welten kann man genau angeben: Es ist die Auflösung der Ich-Instanz. Das ist es, was ihren Anschluss so schwierig macht: Die Hochkultur der Ingeborg Bachmann ist brüchig und sie hat letztlich nicht wenig dazu beigetragen, deren Brüchigkeit zu befördern. Trotz der Bilder der Rauchenden in Rom. Zentral dafür ist der Umgang mit deren wesentlicher Kategorie, jene des Subjekts.

Natürlich ist es längst ein Gemeinplatz, dass Ingeborg Bachmann in ihrer Rolle als Autorin ein nachdrückliches Eigenleben führt. Im Feld der öffentlichen Sichtbarkeit überragt die Figur der Bachmann deren Texte und wirft ihren Schatten auf diese. Nun ist dies aber eine Entwicklung, die weder hinter dem Rücken der Autorin, noch zeitlich nachträglich stattfand, sondern mit den Texten nahezu "gleichursprünglich" ist. Ja mehr noch, es ist etwas, was in ihren Texten selbst stattfindet. In ihren literarischen Texten wird es inszeniert, während es in ihren theoretischen Texten reflektiert wird. Wie etwa in der Frankfurter Poetikvorlesung Das schreibende Ich. Gleich eingangs verkündet sie dort, dass der Mensch vor dem Publikum, vor der Masse, der Sprechende vor seinen Zuhörern – vergleichbar dem Autor vor den Lesern – kein Ich ist, d. h. nicht als solches wahrgenommen wird. In einem zweiten Schritt warnt sie nachdrücklich davor, nicht der Versuchung zu erliegen, das Ich im Text mit dem Autor zu verwechseln.

Das ist besonders in ihrem Fall ein interessanter Hinweis. Denn gerade bei ihr ist die Person, die Intellektuelle mit ihren Liebesgeschichten, so in den Vordergrund gerückt, dass das Publikum überall ihre Lebensgeschichte sucht und sieht. Gerade die Liebesgeschichten sind es, die für die Erzählung von der realen Bachmann herhalten müssen. Es gibt nach wie vor einen eminenten Bachmann-Biografismus, der umstandslos Leben und Werk kurzschließt. Bei ihr – so der Tenor – sei alles autobiografisch. Heute könnte sich ein Autor in dieser Situation bequem dazu entschließen, von der Inszenierung der "realen" persönlichen Fama zu leben. Bachmann entwickelte hier eine andere Strategie. Sie spielte damit auf ihre Weise, noch vor dem Medienzeitalter, welches sie damit zugleich vorantrieb und subvertierte. Dazu gehört, dass sie ihre Spielregeln darlegte, ohne dadurch ihr Spiel zu gefährden, denn dieses funktioniert, auch wenn wir es durchschauen – wie in ihrem Roman Malina.

Dort präsentiert sie uns ein Ich, ein Text-Ich, das so tut, als sei es sie. Ich ist auch eine erfolgreiche Schriftstellerin. Und Ich hat auch eine desaströse Liebesgeschichte, wie wir sie von ihr zum Überdruss kennen. Dieses Text-Ich verfährt so, wie Céline, von dem Bachmann in ihrer Vorlesung meint, er dringe auf "das Tatsächliche und lässt nicht zu, dass wir zwischen Autor und Ich einen Trennstrich ziehen". Ja, das Text-Ich erreicht, dass alle in ihm Ingeborg Bachmann wiedererkennen. Egal, ob nun dieses Ich alleine oder Ich und Malina, als dessen Alter Ego, gemeinsam die Bachmann ergeben. In jedem Fall liest man die Geschichte unweigerlich als die Geschichte der Ingeborg Bachmann. Und in jedem Fall ist klar, dass diese Lesart von der Autorin intendiert ist. Damit erhält der Roman einen Tagebuch-Charakter. Das Tagebuch aber suggeriert, "dass es die Figur Ich nicht zu erschaffen braucht", weil sie vorhanden ist – eine trügerische Vorstellung. Bachmann selbst legt in ihrer Poetikvorlesung dar, dass jedes Ich im Text konstruiert ist – selbst dort, wo es biografisch ist. Ja, gerade dort. Ein unproblematisches Ich im Text sieht sie nur in Memoiren von historischen Personen gegeben: bei Politikern, Staatsmännern oder Militärs. Diese Art von Text-Ich sei mit dem Autor identisch und insofern "naiv" – eine selbstverständliche, unhinterfragte Identität von Autor und Text-Ich. Bachmann erläutert nicht die Ursache, aber man kann annehmen, Handelnde, Politiker haben ein selbstverständliches Ich im Text, weil sich ihre Identität anderswo konstituiert. Sie sprechen von einer bestehenden symbolischen Position aus, die im Text nur bestätigt wird. Ihr Handeln findet also jenseits des Textes statt – im Unterschied zum Schriftsteller. Dieser handelt demnach im Text. D. h. er konstituiert sich als solcher ebendort. Das ist aber eine knifflige Angelegenheit. Ist der Text nun das Medium der symbolischen Konstitution des Autors oder des Text-Ichs? Die Antwort lautet: Beide entstehen dort und sind doch nicht ident (wie beim Politiker). Man muss vielmehr sagen, der Autor entsteht gerade daraus, dass er nicht das Subjekt im Text ist, dass er eben nicht Inhalt seiner Erzählung ist. Er ist – mit Lacan gesprochen – nicht das Subjekt der Aussage, sondern das Subjekt des Aussagens: jener, der die Erzählung tätigt, der das Material (und sei es biografisch), das "Rohmaterial ,Leben‘" organisiert. Er entsteht nicht aus der Identität mit, sondern aus der Differenz zu seinem Text-Ich.

Wirklich relevant wird dies in dem Moment, wo der Autor über keine substantielle Identität mehr verfügt, die sich in der Geschichte abbilden könnte. Dies ist aber – wie Bachmann in Frankfurt ausführte – keine Frage eines individuellen Schicksals, sondern eines historischen Zustands. Ohne ihn explizit zu benennen, skizziert ihr Text einen zunehmenden Bruch in der Ich-Konstitution. Gerade die Generation nach dem 2. Weltkrieg hat die ernüchternde Erfahrung gemacht, dass es kein Narrativ und keine Institution mehr gibt, die diese Ich-Instanz garantieren würde. Der Verlust der Garantie ist gleichzeitig auch die Erfahrung, dass das Ich überhaupt solch einer Garantie bedarf, dass es keine unmittelbare, selbstverständliche Ich-Identität gibt. Anders gesagt, es ist die zutiefst beunruhigende Erfahrung, dass Ich ein relationaler Effekt ist, ein Diskurseffekt, wie man ein paar Jahre später sagen wird. Genau in dieser Erfahrung aber wird Literatur virulent, ist sie doch jener Bereich, wo diese Auflösung eines substantiellen Ichs quasi existenziell ist, und wo sie im Text-Ich verhandelt wird. Die Literatur ist aber auch der Ort, wo Strategien gegen diesen Ich-Verlust entwickelt werden.

Vor dieser Folie ist Malina eine eminente Lehre – nicht in Ich-Dekonstruktion, sondern vielmehr in Ich-Konstruktion. Alle suchen immer Bachmanns Ichs, diese Autoren-Figur, und was gibt sie dem Publikum? Sie gibt uns in Malina so eine Figur, die sie sein könnte. Sie gibt dem Publikum, was es sucht, sie bedient den Voyeurismus – und gleichzeitig lehrt sie: Das Ich in der Literatur ist notwendigerweise eine Konstruktion. Es ist unmöglich, "die eigene Person, das eigene Leben, ohne Übersetzung in ein Buch (zu) tragen". Das alleine mag längst zum Gemeinplatz geworden sein. Spannend aber wird, welche Funktion dieses konstruierte Ich im Text hat: "Es bekennt, schreibt sie, und täuscht." Das Geständnis, die Beichte, der viel zitierte Geständniszwang, der ja gerade für die Literatur ein wesentliches Moment ist, wird von Bachmann gleichzeitig zum Medium des Täuschens erklärt.

Worin aber besteht diese Täuschung? Auch darauf gibt sie uns einen Hinweis: Am Beispiel von Dostojewski, der in den Aufzeichnungen aus einem Totenhaus ein Herausgeber-Ich vorschiebt, schreibt sie, der Autor tarne sich, er betreibe ein "Versteckspiel mit dem Ich, das versteckt werden muss, um sich besser preisgeben zu können". Ihre eigene Strategie erscheint genau umgekehrt: Sie gibt sich preis, um sich besser tarnen zu können. Sie präsentiert uns unverhohlen und direkt ein Ich im Text und erklärt uns gleichzeitig (als Theoretikerin): der Autor finde Schutz hinter der Ich-Form. Mehr noch: das Publikum sucht überall ihre Intimität – und sie breitet eine solche Intimität in einem Roman vor uns aus. Nur um sich hinter dieser öffentlichen Intimität zu verbergen. Sie versteckt sich im Bekenntnis. Aber wer ist dieses "sie"? Durch diese Intimität als Öffentlichkeitsstrategie hat sie sich als eine Art Warhol-Figur avant la lettre entworfen, eine Kunstfigur, die aus der scheinbaren Identifikation von Leben und Werk hervorgeht. Eine Warhol-Figur mit alten Mitteln – spricht diese doch immer noch von Wahrheit. Eine Ikone präsentiert sich in der Intimität einer Liebesgeschichte, die die ihre sein könnte, und doch ist sie nicht dort – ist sie "dahinter"? Ein schwieriges Wort, suggeriert es doch, die wahre Bachmann sei anderswo zu finden – als gäbe es irgendwo doch ein substanzielles Bachmann-Ich. Aber ihre eigene Lektion besagt: weder das Text-Ich, noch das scheinbar souveräne Autoren-Ich können diese verlorene Ich-Substanz, diese in sich ruhende Identität, wiederherstellen. Dieses bleibt eine "geträumte Substanz". Es gibt kein Anderswo für den Autor. Er ist nur in seiner Abwesenheit, nur in seiner Differenz zum Text-Ich präsent. Der Schutz, den die Ich-Form gewährt, ist nicht die Gewinnung eines identen Ichs.

Es gibt aber noch eine zweite Lektion aus diesen Ich-Auflösungen. Das "alte Ich", schreibt Bachmann, das "Ich des 19. Jahrhunderts", dem man noch "zutraute, dass es seine Geschichte zu erzählen verstünde", war auch jenes, das "die Geschichte und sich selbst als Person mitgarantierte". Diese Position hat es eingebüßt. Und doch bedarf die Literatur weiterhin eines Ichs in seiner determinierenden Rolle: nicht mehr als zentrale Instanz, sondern als "allgemeine Beleuchtung, worin alle Farben getaucht sind", wie ein ganz anderer, Karl Marx nämlich, Determinierung charakterisiert hat. Bei Bachmann heißt das, das Ich hält sich nicht mehr in der Geschichte auf, sondern die Geschichte hält sich "neuerdings im Ich auf". Es erscheint nicht mehr als Zentrum des Geschehens, aber als dessen Medium. Ich ist nicht mehr die unhinterfragte Person der Geschichte, aber es ist das symbolische Universum, in dem diese stattfindet. (Isolde Charim/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.06.2007)

Es handelt sich bei diesem Text um die stark gekürzte Fassung des Vortrags "Intimität als Öffentlichkeitsstrategie. Reden über Ingeborg Bachmann", den Charim am 23. 6. um 19.30 Uhr im Musil-Institut der Uni Klagenfurt (Bahnhofstraße 50, 1. Stock, 9020 Klagenfurt) hält.