Niemals in den zwölf Jahren, in denen ich als Grundlagenforscher der ÖVP tätig war, und auch nicht später, als gelegentlicher Politikberater für Kandidaten der Volkspartei, habe ich so etwas wie Hass oder Verachtung für den Sozialismus, die Sozialisten, die Sozialdemokraten verspürt.

Auch bei den vielen Parteifreunden, mit denen ich zu tun hatte, war ein derartiges Gefühl, eine derartige Gesinnung nicht festzustellen - höchstens in Spurenelementen bei einigen wenigen, die noch von der Zwischenkriegszeit geprägt waren. Die auf der Lagerstraße von Dachau entstandene gegenseitige Achtung, das demokratische "let us agree to differ" war die positive Seite der Zusammenarbeit der bestimmenden Kräfte der Zweiten Republik.

Manche Kumpanei der langjährigen großen Koalition war ihre negative Kehrseite. Die "Roten" waren im Endeffekt notwendige politische Partner: Auch wenn in manchen Wahlkämpfen ordentlich übertrieben wurde ("Die rote Volksfront droht" etc.), hat die Sozialpartnerschaft doch immer wieder zu sachlicher Zusammenarbeit geführt. Deshalb war auch die Präferenz für die große Koalition beim Gros der Funktionäre bis hinauf in die Parteispitze der ÖVP - wie in der Gesamtbevölkerung - die weit überwiegende Einstellung. Wer die große Koalition wollte, konnte wohl nicht gleichzeitig Hass auf den großen politischen Gegner verspüren.

FPÖ: "Ewiggestrige"

Anders war die Situation in Bezug auf die FPÖ. In ihr, ihren Funktionären und Mitgliedern sahen wir CVer und mit uns sehr viele Parteifreunde die "Ewiggestrigen", die den Glauben an unsere Republik nie erlangt hatten, sich immer noch zuerst als Deutsche und erst dann als Österreicher fühlten und so als Sicherheitsrisiko für unsere staatliche Gemeinschaft gelten mussten, deren Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wir 1955 als wertvolles Geschenk der Geschichte empfangen hatten.

Hier gab es Ressentiments, Vorurteile - vielleicht aus der Vorsicht geboren, vielleicht auch nur von den Vorgängern übernommen. Ja, es gab Züge von Hass. Es soll nicht verschwiegen werden, dass nicht alle so cool über die FPÖ dachten wie Julius Raab, der sie als eine luftige Erscheinung "mit Quastln" bezeichnete. Und dann Kreisky. Zusammenwirken mit ehemaligen SS-Offizieren aus den Reihen von FPÖ und SPÖ. Bruno Kreisky, das ist uns anlässlich seines zehnten Todestages wieder bewusst geworden, hat den Sprung über den Schatten der Geschichte gewagt.

Es war nicht nur die Erinnerung an seine Inhaftierung zusammen mit illegalen Nazis im austrofaschistischen Ständestaat, es war mehr: Es war die tief humanistische Erkenntnis, dass jedem Menschen die Chance auf Einsicht, Läuterung, Umkehr zugestanden werden muss. Dass damit auch eine parlamentarische Mehrheit zu erzielen war, wer wollte das einem Politiker vorwerfen?

Kreiskys Vermächtnis

Es kann nicht unsere Aufgabe als Österreicher sein, so lautet Kreiskys Vermächtnis, den ehemaligen Mitläufern und Mittätern auf Jahrzehnte hinaus die Möglichkeit vorzuenthalten, ihre - zum Teil auf jugendlichem Idealismus beruhende - Mitwirkung an einem verbrecherischen System gegen eine wahrhaft demokratische Gesinnung einzutauschen.

Die Bildung einer Regierung aus Vertretern der Volkspartei und der Freiheitlichen - allesamt unbelastet von jener unseligen Vergangenheit - hat vor nunmehr einem halben Jahr eine Reihe überraschender sozialpsychologischer Phänomene ausgelöst, für deren Aufarbeitung noch einige Zeit erforderlich sein wird. Der Frust bei vielen aus den Kernschichten der ÖVP, dass nun hoffähig sein solle und würde, was nie hoffähig hatte sein dürfen. Die herbe Enttäuschung über das gebrochene Wort vom Gang in die Opposition bei vielen Intellektuellen am Rand der Volkspartei.

Und dann der aufkeimende "rosa Widerstand". Egon Matzner hat hiezu die kluge These aufgestellt, dass es sich bei dem vielen jungen Menschen plötzlich einschießenden "Antifaschismus ohne Faschisten" um eine psychologische Ersatzhandlung der "Enkel" handelte: hier und jetzt durch Aktion und Aktionismus die Ehre der Großväter und Großmütter zu retten, die seinerzeit nicht die Kraft hatten, den Anfängen zu wehren, sondern mitmarschiert und mitgeritten sind.

Bruno Kreisky hat, das wissen wir längst, in zweifacher Hinsicht paradoxe Politik gemacht - beides nicht ohne Erfolg: Im Inneren, indem der ehemalige jüdische Emigrant dem ehemaligen deutschen Totenkopfsoldaten die Hand zur Versöhnung reichte und damit die FPÖ regierungsfähig machte. Jenseits unserer Grenzen, indem der jüdische Großbürger dem unterkastigen Palästinenserführer die Möglichkeit zur Darstellung seines Standpunktes vor der Weltöffentlichkeit bot und ihn damit international hoffähig machte.

Ich weiß aus eigener Wahrnehmung, dass Wolfgang Schüssel alles andere als aus persönlichem Machtstreben so gehandelt hat, wie er handeln musste. Zwischen der Scylla einer erfahrenen, aber beinahe alles verweigernden SPÖ und der Charybdis einer unerfahrenen, aber beinahe alles zugestehenden FPÖ gefangen, entschied er im längerfristigen Staats- und Parteiinteresse - wie dereinst Kreisky: Was in jenem Falle recht war, sollte in diesem Falle billig sein. Wer heute auch nur annähernd objektiv urteilt, wird diese Entscheidung verstehen.

Schwarz-Blau/Rot-Blau

Aber - ich höre schon den Einwand: "Schwarz-Blau" ist einfach nicht dasselbe wie "Rot-Blau." Warum eigentlich nicht? War/ist die SPÖ in ihrer praktischen Politik wirklich ein Bollwerk des Antifaschismus und ein Motor der Demokratie? Bei der Verwirklichung von Art. 7 Staatsvertrag (Minderheiten), bei der Liberalisierung der Ausländergesetze, bei der Restitution unrechtmäßig erworbenen Vermögens (Zwangsarbeiter, Arisierungen), in der Frage des Naturschutzes (Hainburg), bei der Demokratisierung des Parteienwesens (Wien)? Damit kein "falscher Irrtum" entsteht: Trotz der erwähnten sozialhygienischen Notwendigkeit, der FPÖ und ihren Anhängern die Chance zur vollständigen Ausmerzung aller Überreste einer unseligen Vergangenheit und aller antidemokratischen Fehlhaltungen einzuräumen, ist und bleibt die Teilnahme der FPÖ an der österreichischen Bundesregierung Anlass zu größter Wachsamkeit. Nicht nur im Hinblick auf gelegentliche rhetorische Rülpser, nein, ganz grundsätzlich besteht Anlass zur ständigen Auseinandersetzung mit immer noch unbewältigten Phänomenen unserer Geschichte.

Mit zum Teil unerklärlichen Restbeständen einer Geisteshaltung, die es nicht geben dürfte, aber gibt: Acht Prozent aller ÖsterreicherInnen (drei Prozent der WienerInnen, aber mehr als zehn Prozent in einigen Bundesländern) sind weiterhin der Ansicht, dass die Judenmorde im "Dritten Reich" historisch nicht erwiesen sind (FESSEL-GfK und Integral, beide Studien aus dem Frühjahr 2000). Familien, Schulen, Kirchen, Volksbildung, Medien sind auch heute und in Zukunft gefordert, mit Geduld und Ausdauer aufzuklären - nicht mit Schaum vor dem Mund.

Nationalstiftung

Am besten wäre hiezu die Gründung einer "Österreichischen Nationalstiftung", die über Parteigrenzen hinweg für eine effiziente Koordination aller einschlägigen Bemühungen - inklusive der längerfristigen Errichtung eines "Hauses der Geschichte" und der kurzfristigen Herausgabe einer "Österreichischen Nationalenzyklopädie" - sorgt. Was nicht zum Ziele führen wird, ist "Hassumkehr": das dauernde Jonglieren mit Begriffen wie "Faschismus", "Klassenkampf", "Sozi-Hass", "ungeniertes Bündnis" etc. "Widerstand" ohne Alternative, Form ohne Inhalt, Stadtwandertage ohne Ziel - das alles wird längerfristig nicht reichen.

Konstruktiver Dialog muss an die Stelle des reinen "So nicht" treten. Beginnen wir ihn. Ernst Jandl, geboren am 1. August 1925, hat uns ein Rezept dafür gegeben: "Unsere Ansichten gehen als Freunde auseinander."

Dr. Peter Diem ist Medienforscher und Autor von "Die Symbole Österreichs - Zeit und Geschichte in Zeichen".