Georg Klein, "Sünde Güte Blitz". € 18,40/190 Seiten. Rowohlt, Hamburg 2007.

Buchcover: Rowohlt

Es ist wahr, die Männer sind göttliche Bastler! (...) Regelmäßig verzweifelt das patente Weib an der Umständlichkeit seines Gatten. Vernarrt in sein Tun, tut er des Guten zu viel. Den Haken, der bloß die Lampe über dem Küchentisch tragen soll, verankert er, als gelte es, einen Erzbischof zu erhängen." Was soll man davon halten? Von dieser forcierten Munterkeit? Und warum gerade einen Erzbischof?

Typisch Georg Klein, könnte man sagen, der Bachmann-Preisträger des Jahres 2000 ist seit Barbar Rosa und Libidissi für seinen geballten Formwillen ebenso berühmt wie für seinen Hang zur Bizarrerie. Allerdings äußert sich hier nicht der Autor, sondern der Erzähler, und der ist definitiv nicht von dieser Welt, eine Art Engel, der auch für die Kollegenschaft spricht. Seine wie von sehr fern angestellten Betrachtungen über Mensch und Tier, Mann und Weib eröffnen jeweils die Abschnitte des Romans.

Mit dem Sturz eines Engels auf die Erde beginnt denn auch die Geschichte, man ist versucht zu sagen: fulminant, obwohl erst deren Ende den im Titel angekündigten Blitz samt gehörigem Theaterdonner einlöst. Vorderhand kommt nur ein Elektroschocker zum Einsatz, denn der nackte Mann, der sich vom nahen Baum durchs Fenster ins Schlafzimmer der "langzeitarbeitslosen Physikerin" Angela Z. schwingt, ist ebendort nicht willkommen. Sehr bald freilich merkt die unfreiwillige Gastgeberin, dass der Besucher zwar seine Reize hat, den ihren aber nicht erliegt. Es bedarf gar nicht so vieler Proben seiner übersinnlichen Fähigkeiten, um die mittlerweile als Hausmeisterin tätige Naturwissenschafterin vom Engelhaften seines Charakters zu überzeugen. Außerdem heißt sie Angela, ist also eine verwandte Seele. So hilft sie ihm bei der Einschätzung lebenspraktischer Fragen, die ihm weniger liegt, und stattet den Eindringling nicht nur mit Kleidern, sondern auch mit einem Namen aus. "Gottlieb" - er entlehnt den Namen einem Ausstellungsplakat, das die wissenschaftlichen Apparaturen eines Gottlieb Ameis ankündigt - findet bei Angela keine Gnade, sie wählt statt dessen "Immanuel", womit sie, ohne dass ihr das bewusst wäre, nicht weit danebenliegt, bedeutet Immanuel doch auf Hebräisch "Gott mit uns". Man sieht förmlich, wie der Autor seinen Lesern still vergnügt zuzwinkert.

Mit den Namen hat es Georg Klein überhaupt: So heißen die beiden praktischen Ärzte, die in Angelas Haus ihre Ordination eröffnet haben und mit deren Wirken Immanuels Mission offensichtlich etwas zu tun hat, Doktor Schwartz und Doktor Weiss. Letzterer ist der Star des Teams, in dem halben Jahr seiner Tätigkeit hatte er unglaubliche diagnostische und therapeutische Erfolge zu verzeichnen, ja ältere Damen, die ihn wegen Arthritis und Asthma aufsuchten, erscheinen sogar von Konsultation zu Konsultation jeweils aufs Neue eklatant verjüngt. Dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, ergibt sich bald aus mannigfaltigen Andeutungen und hat nur scheinbar nichts damit zu tun, dass die beiden Ärzte sich im schönen Kitzbühel kennen gelernt haben. Klein liebt die Doppelungen und Gegensatzpaare, und wo ein Engel auftritt, muss auch ein Teufel seine Hand im Spiel haben. Der Autor rüstet ihn ganz traditionell mit einem Bocksfuß aus und spickt die Erzählung verschwenderisch mit Ziegenmotiven: natürlich, Kitzbühel!

Es scheint, als hätte Georg Klein mit diesem Buch eine zeitgemäße Antwort auf E. T. A. Hoffmanns Elixiere des Teufels geben wollen. Sünde Güte Blitz ist fast so exaltiert und verworren wie die romantische Schauermär, da wie dort sündigt der Sünder aus Eitelkeit, da wie dort verleiht der diabolische Pakt auch erotische Strahlkraft. Nur scheint Hoffmanns bipolarem Prinzip der Widersacher und Doppelgänger bei Georg Klein die Vorstellung einer Synthese von Gut und Böse unterlegt: Nicht zufällig - zufällig ist in diesem Roman rein gar nichts - spielt die Handlung im polnisch-deutschen Grenzstädtchen G./Zgorzelec, also Görlitz, dem Geburtsort des Mystikers Jakob Böhme, der im Text nicht vorkommt, in dessen geistigem Kosmos das Wirken der Engel und Geister aber wurzelt. "Die Menschen sind tollkühne Tiere", lautet ein Stehsatz des himmlischen Erzählers, demgemäß bringen sie Gutes wie Schlechtes hervor. Das eigentliche Geschehen ereignet sich an einem einzigen Wochenende: An einem Samstag hat Immanuel Angela heimgesucht, an einem Sonntag kommt es zum Showdown. Dazwischen blendet Klein kapitelweise in die Monate Jänner bis Juni zurück, in denen die Praktiken des Doktor Weiss die Grenze zur (weißen?) Magie immer deutlicher überschreiten und sein Partner Doktor Schwartz es zusehends mit der Angst zu tun bekommt, nicht zuletzt deshalb, weil er die olfaktorischen Markierungen des Höllenabgesandten bei sich selbst für die ersten Symptome eines Gehirntumors halten muss.

Als zum Schluss in einem reinigenden Blitzgewitter (bewirkt durch die historischen Geräte des erwähnten Gottlieb Ameis) die richtigen Paare zusammenfinden und das falsche Paar, nämlich die störenden Jenseits-Boten, sich buchstäblich in Luft auflöst, steht der Leser, sobald der Schwefeldampf sich verzogen hat, etwas ratlos da.

Sicherlich, Georg Klein hat eine Satire über medizinische Heilsversprechen und Patienten-Gläubigkeit geschrieben, über Jugendkult und Schönheitssucht. Aber die Geschichte verpufft schon vor der finalen Explosion. Ihre stärksten Passagen hat sie in der immer zarter werdenden, zuletzt schier ätherischen Beziehung zwischen der Menschenfrau Angela und dem schönen Engel, der so gerne Milchkaffee kosten würde, aber vor lauter Verfolgungsjagd nicht dazu kommt. Zweifellos ist Kleins Stil elaboriert, es mag für manchen auch durchaus ergötzlich sein, dem arg aus der Mode gekommenen Wörtlein "platterdings" hier wieder zu begegnen. Stellenweise gelingt die aphoristische Zuspitzung, und es entsteht ein Quäntchen Witz. Nicht selten aber kracht der für die Erzeugung von rhetorischem Gold bemühte metaphorische Apparat an allen Ecken und Enden. Wenn einer die Kälte als die "blauwangige Gouvernante unter den Grausamkeiten" bezeichnet, dann muss man das mögen - oder eben nicht. Zugegeben, ein wohlfeiles Kritikerresümee. Sagen wir so: Es ist wahr, Georg Klein ist ein göttlicher Bastler. Vernarrt in sein Tun, tut er des Guten zu viel. (Daniela Strigl/ DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.6.2007)