Zu Mittag aber sind alle wieder hellwach. Auf der Bühne steht nun Lafontaine und er hat den Saal sofort im Griff, als er an Rosa Luxemburg erinnert ruft: "Wir stehen in der Tradition der Arbeiterbewegung." Er schreit, er wettert und es ist gleich klar, wen die neue Linke vor sich hertreiben will: "Die Reformchaoten", die den "Sozialstaat zerstört haben". Außenpolitisch nimmt Lafontaine eine Anleihe bei Willy Brand: "Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen." Er preist den Staatspräsidenten von Venezuela, Hugo Chávez, und beschimpft Tony Blair sowie George Bush als Terroristen.
Das kommt gut an bei seiner neuen Partei und als Lafontaine und Bisky am Nachmittag wie zwei aufgeregte Erstklässler auf das Ergebnis ihrer Wahl warten, kann sich Lafontaine schon sicher sein, dass er besser abschneidet. Mit 87,9 Prozent wird er schließlich gewählt, sein Co-Vorsitzender Bisky mit 83,6 Prozent.
Überhaupt ist die Stimmung prächtig. "Jetzt geht's lo-os, jetzt geht's lo-os", skandiert der Saal, als um 16.36 Uhr die endgültige Fusion der beiden ungleichen Partner verkündet wird. 60.300 Mitglieder bringt die ostdeutsche Linkspartei (ehemals PDS), 11.500 die westdeutsche Ex-WASG mit.
Westler in Sorge
Vergessen ist in diesem Moment auch der Frust der Frauen, von denen sich keine an der Parteispitze wiederfindet. Und die ehemaligen WASGler verdrängen für diesen Moment ihre Angst, dass die straff geführte und zahlenmäßig haushoch überlegene ehemalige PDS das Projekt dominieren könnte. "Wir müssen uns jetzt alle neu finden. Jetzt gibt es einen Übergangsvorstand, und in einem Jahr werden die Karten neu gemischt", sagt Thomas Mitsch aus Baden-Württemberg zum Standard und fügt hinzu: "Das Projekt ist zu wichtig, wir können intern nicht dauernd streiten." "Sicher wird es in der ersten Zeit noch Differenzen geben. Aber nach und nach werden sich alle von den alten Gedankengängen verabschieden", beruhigt Kurt Zinke aus Sachsen-Anhalt, der jahrzehntelang in der SED Mitglied war.