Wo aber führt sie hin? Und was veranlasst die Regierungsparteien angesichts der absehbaren Folgen zu solch euphorischen Reaktionen? Zornige Nachbetrachtungen zur Implantierung eines demokratiepolitischen "Meilensteins".

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Ein Herzstück parlamentarischer Demokratie ist die Öffentlichkeit der Sitzungen des Nationalrates und ihre wörtliche Aufzeichnung in für jeden einsehbaren stenografischen Protokollen. Wer also am 5. Juni die Fernsehübertragung der Wahlrechtsdebatte versäumen musste, konnte erwarten, diese in aller Ruhe auf der Homepage des Parlamentes nachlesen zu können.

Doch daraus wird nichts. Jedenfalls nicht vor Ende November. Das aktuellste derzeit einsehbare Protokoll ist nämlich jenes der Sitzung vom 30. Jänner (!) dieses Jahres. Jeder rechne selber hoch und vergesse nicht die Sommerpause einzukalkulieren.

Virtuelle Demokratie, die sie meinen ... – passt perfekt zu dem Umstand, dass Gesetzestexte seit 2004 nur mehr Internet-Benutzern offen stehen, weil die Druckfassung des Bundesgesetzblattes abgeschafft wurde. Das Recht geht vom Volk aus? Mag sein. Es kehrt aber nur zu den Computerbesitzern zurück.

Die dankenswerte Zusammenfassung der dreißig Wortmeldungen der Wahlrechtsdebatte vom 5. Juni durch die Parlamentskorrespondenz – einstweilen ihr einziger schriftlicher Nachweis – enthüllt noch einige andere Details des Demokratieverständnisses unserer Abgeordneten und nicht zuletzt auch, welches Übermaß an intellektueller Schlichtheit sie uns, ihren Auftraggebern, zuschreiben.

Schwarze Arithmetik

Da rechnet uns der Klubobmann der ÖVP allen Ernstes vor, dass die überfallsartige Verlängerung der Legislaturperiode des Nationalrates um satte 25 Prozent bei durchschnittlicher Lebenserwartung lediglich zu einem Verlust von zwei Wahlgängen führe. Man übersehe nämlich, dass es auch noch andere Wahlen gäbe, wie die Europawahl, die Landtagswahl, die Gemeinderatswahl und die Wahlen in Interessensvertretungen. Mit anderen Worten, was soll die Aufregung? Wahl ist Wahl, und der Lustgewinn offenbar immer der gleiche.

Im Übrigen sei die Mandatsverlängerung zwei Jahre im Verfassungskonvent beraten und daher auch keineswegs überfallsartig beschlossen worden. Was soll das? Der Konvent ist bereits anderthalb Jahre vor der letzten Nationalratswahl, nämlich am 31. Jänner 2005 (!), zu Ende gegangen und hat de facto unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden.

Damit das Verschweigen der beabsichtigten Verlängerung der Legislaturperiode im Wahlkampf durch SPÖ und ÖVP zu begründen, ist eine Chuzpe sondergleichen. Der Innenminister wiederum schwärmt, dass die Briefwahl jeden Postkasten zur Wahlzelle machen werde. Bravo! Bleibt nur die Frage, wo noch Wahlzellen an den Hauswänden herumhängen. Andererseits: Kein Grund zur Besorgnis – wozu hat man denn das Wahlalter herabgesetzt?

Zuhauf werden demnach den lokalen Parteiorganisationen Jugendliche zur Verfügung stehen, die den Briefwählern fröhlichen Herzens die Schrecken des Briefkastensuchens abnehmen und auch gleich bei der Abwicklung der damit verbundenen administrativen Abläufe an die Hand gehen werden und sicherstellen können, dass alle Schrift- und sonstigen Zeichen am richtigen Ort und alles im richtigen Kuvert ist.

Grüne Logik

Apropos Wahlalter. Auch der Bundeskanzler schwärmt: Er schwärmt davon, dass sich das Plenum des Nationalrates verjüngen werde. Ist das nicht zu kurz gedacht? 18-jährige Abgeordnete im Nationalrat? Ohne Berufserfahrung und wohl auch ohne Berufsausbildung in einer normalerweise nicht erreichbaren Einkommenslage? Und wenn es nicht für 42 bis 45 Abgeordnetenjahre reicht? In welches Berufsleben sollen sie zurückwechseln? Wie frei können solche Abgeordnete sein?

Und was sagen die Grünen dazu? – Ein durchaus unkritisches „Ja“ zu Briefwahl und Senkung des Wahlalters; die diskussionslose Verlängerung der Legislaturperiode lehnt ihre stellvertretende Bundessprecherin in besagter Sitzung zwar gleich als erste Rednerin vehement ab; im letzten Moment aber stimmen die Grünen ohne erkennbare Not dennoch mit den Regierungsparteien und schlagen sich damit selber einen gehörigen Stein aus ihrer Krone alternativer demokratiepolitischer Redlichkeit.

Schließlich ist die wundersame Mandatsverlängerung ja auch im Interesse ihrer Abgeordneten. Oder? Wer wundert sich bei all dem noch über Politikerverdrossenheit? (DER STANDARD, Printausgabe, 19. Juni 2007)